Galiläa zur Zeit Jesu

Brennende Sehnsucht nach dem Messias
Ausgabe Nr. 1
  • Theologie
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Die Ruinen von Kafarnaum am See Gennesaret zeugen von der einstigen römischen Herrschaft. ©iStock/RobertBye
Der Blick von Masada reicht weit über die Wüste. Einst Ort jüdischen Widerstands gegen die Römer, ist die Festung ein Symbol für Freiheit und Opfermut. ©iStock/RobertBye

Jesus wurde in eine politisch, sozial und kulturell zerrissene Zeit geboren. Bibelexpertin Jutta Henner erläutert, wie die römische Fremdherrschaft, die drückende Abgabenlast und die Spannungen zwischen Arm und Reich Galiläa prägten.

Jesus Christus war in eine hochexplosive Zeit hineingeboren worden, sagt die Leiterin der Österreichischen Bibelgesellschaft Jutta Henner im Gespräch mit dem SONNTAG-Magazin. Die Bibelwissenschaftlerin gewährt Einblicke in die schweren sozialen und kulturellen Spannungen in Judäa bedingt durch die römische Fremdherrschaft und beleuchtet das schonungslose Vorgehen des römischen Statthalters Pontius Pilatus.

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Das Leben zur Zeit Jesu

Jüdisches Dorfleben mit fröhlichen Festen, der See von Genezareth mit seinen reichen Fischbeständen, die sanften grünen Hügel Galiläas – wer an das Heilige Land zurzeit Jesu denkt, ist vielleicht geneigt, sich eine Idylle Die Härte des Kapitalismusvorzustellen. „Frieden vorausgesetzt, könnte man als Pilger oder Tourist am See Genezareth bei Sonnenuntergang romantische Vorstellungen gewinnen. Galiläa ist grüner als der Rest des Landes, insbesondere war es das in neutestamentlicher Zeit. Da war Landwirtschaft möglich“, erzählt Jutta Henner, evangelische Theologin und Leiterin der Österreichischen Bibelgesellschaft, im Gespräch mit dem SONNTAG-Magazin. Hier, in diesem Winkel des östlichen Mittelmeerraumes, wuchs Jesus als Sohn eines Bautischlers in Nazareth auf und hier verbrachte er die ersten 30 Jahre seines Lebens. „Aus heutiger Sicht der Forschung können wir sagen: Die erste Hälfte des ersten Jahrhunderts in Galiläa war alles andere als idyllisch“, erklärt Bibelexpertin Jutta Henner. Mehr noch: Jesus Christus wurde in eine hochexplosive Zeit hineingeboren.

Die Schlüsselrolle des Herodes

„Es war eine politisch und wirtschaftlich schwierige Zeit. Eine Schlüsselrolle spielte Herodes der Große - auch noch für die Zeit, in der Jesus als Erwachsener gewirkt hat, seine Jünger gesammelt hat und mit ihnen umhergezogen ist.“ Herodes, den viele noch aus der Weihnachtsgeschichte bei Matthäus kennen, hatte eine überaus lange, beinahe 40-jährige Regierungszeit vor der Zeitenwende (etwa 37 bis 4 vor Christus). Er war mithilfe der Römer an die Macht gekommen und entfaltete eine große Bautätigkeit. „Er ließ den Zweiten Tempel in Jerusalem großzügig ausbauen und setzte sich mit der Burg auf Massada, dem Palast in Jericho, dem Herodion oder dem Hafen von Caesera ein Denkmal. Die Spuren davon kann man heute als Tourist teilweise noch sehen“, so die Bibelwissenschaftlerin.

Abgabenlast: Der Druck auf die Bevölkerung wächst

Einerseits kurbelten diese Bauten die Wirtschaft an und schufen Arbeitsplätze, andererseits wurden diese Prachtgebäude durch Abgaben finanziert, die die Bevölkerung leisten musste. König Herodes trieb für die Römer Steuern ein und verdiente dabei samt seiner Familie, Verwandten und Günstlinge kräftig mit. Das „System Herodes“ mit seiner Gier nach Macht und Geld und einem ausschweifenden Lebensstil wurde von der allgemeinen jüdischen Bevölkerung kritisch gesehen. Herodes und sein Clan passten sich in vielem an den Lebensstil der Römer an, um ihre Macht und ihren Einfluss zu erhalten.

Ein Opfer der Herodes-Familie

Das Gegenstück zu diesem „System“ war Johannes der Täufer: „Er verkörperte Glaubwürdigkeit, weil er es sich nicht feudal gerichtet hatte und mit nichts in die Wüste ging. Er hatte spirituelle Strahlkraft wie dann auch Jesus, der alles hinter sich ließ und im Vertrauen auf Gott unterwegs war.“

Die Härte des Kapitalismus

Die Fremdherrschaft der Römer war eine Quelle permanenter politischer, sozialer und kultureller Spannungen. Vor allem die Abgabenlast war sehr drückend und führte in einen brutalen Kapitalismus. „Der Großteil der Bevölkerung war in der Landwirtschaft tätig. Traditionell war es so, dass eine große Familie ein entsprechendes Stück Land hatte, das sie bewirtschaftete und so davon leben konnte“. Doch diese Form des Lebensunterhalts war für immer weniger Familien möglich. „Zum einen gab es immer wieder Ernteausfälle, Missernten und Dürreperioden. Dann hatten die Bauern natürlich nicht einmal das Saatgut fürs nächste Jahr bzw. mussten dieses kaufen“, erklärt Jutta Henner. Zum anderen war die Abgabenlast so drückend, dass viele kleine Bauern in eine Schuldenspirale gerieten. „Die Römer waren sehr erfinderisch, wenn es darum ging. Steuern einzutreiben. Da gab es die Kopfsteuer und die Grundsteuer, Handels- und Transportsteuern. Hinzu kamen die religiösen Abgaben wie die Tempelsteuer und der Zehent für die Priester“. Um die Abgaben und Steuern bezahlen zu können, mussten viele Schulden aufnehmen und ihren Grund verpfänden. Das ging so weit, dass sie am Ende als Pächter den vormals eigenen Boden bewirtschafteten oder zuletzt nur noch als Arbeiter oder Tagelöhner darauf tätig waren. Im schlimmsten Fall endeten die Bauern als Sklaven und Leibeigene – wenn ihnen nichts anderes mehr übrigblieb, als sich selbst zu verpfänden.

Reichtum auf Kosten der Armen

Der Grundbesitz konzentrierte sich nur noch auf ein paar wenige Reiche, die oftmals gar nicht vor Ort lebten. „Diese Großgrundbesitzer wollten natürlich Erträge sehen und pressten die Menschen und ihre Arbeitskraft noch weiter aus.“ Das Wohlergehen der Pächter, Arbeiter und Tagelöhner war den Grundbesitzern egal. „Also eigentlich ein brutaler Kapitalismus - man kann sich vorstellen, dass die Schere zwischen Arm und Reich, und vor allem zwischen wohlhabender Stadtbevölkerung und armer Landbevölkerung immer weiter auseinanderging. All das erinnert stark an den Propheten Amos, der beklagt, dass die Reichen immer reicher werden auf dem Rücken der Armen und die Armen immer ärmer werden. Er beschreibt auch die Schuld-Sklaverei.“

Hoffnung auf den Messias

Die römische Fremdherrschaft führte auch zu kulturellen Konflikten und Spaltungen. „Die Römer waren einerseits gefragte Abnehmer für den heimischen Fisch und man betrieb Handel mit ihnen. Clans rund um die herodianische Familie und hohe Priesterklassen arrangierten sich, um ihre Macht und ihren Reichtum zu erhalten.“ Die Römer aßen z. B. sehr gerne Schweinefleisch und betrieben an allen Tagen Handel - für die jüdische Bevölkerung absolute No-Gos. „All diese Konflikte boten sozialen Zündstoff und verstärkten die spirituelle Erwartung für das Kommen des Messias“, führt Jutta Henner aus. Der Rest ist Welt- und Heilsgeschichte.

Autor:
  • Agathe Lauber-Gansterer
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