Frieden in Europa
Pax Christi Österreich
©Stefan Hauser
Wolfgang Palaver lehrte als Universitätsprofessor von 2002 bis 2023 Christliche Gesellschaftslehre an der Universität Innsbruck. Er ist auch Präsident von „Pax Christi Österreich“. „Pax Christi“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, aus dem Glauben heraus für ein friedliches Zusammenleben der Menschen und Völker einzutreten.
Frieden versus Aufrüstung
„Friede sei mit euch“, heißt es im Johannesevangelium, das am 27. April, dem Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit, in den Gottesdiensten gelesen wird. Gleich dreimal grüßt Jesus die Seinen mit diesen Worten. Wie steht es um die Sehnsucht nach Frieden in einer, wie Ursula von der Leyen Anfang März unterstrich, Ära der Aufrüstung? Sie will dafür Finanzmittel in der Höhe von 800 Milliarden Euro mobilisieren ...
WOLFGANG PALAVER: Frieden ist ein ganz wichtiges Konzept und eine wichtige Sehnsucht. Frieden ist allerdings nicht einfach immer so gut. Ich erinnere gern an Martin Luther Kings Predigt gegen den widerlichen Frieden, wo er aufzeigt, dass Friede im Sinne von Ruhe und Ordnung noch lange kein Frieden ist, der erstrebenswert ist. Es braucht Frieden und Gerechtigkeit. Und wenn Sie die Aufrüstungspolitik der Europäischen Union erwähnen, so ist meine Antwort darauf: nicht aufrüsten, sondern umrüsten. Unter Umrüsten verstehe ich, dass wir uns von der amerikanischen Militärpolitik, auch weil die Amerikaner sich zurückziehen oder unzuverlässig geworden sind, unabhängig machen. Wir müssen schauen, dass das gewisse Ausmaß an Rüstung, das Europa braucht, in Europa produziert wird. 40 Prozent der Waffenlieferungen kommen aus der USA. Das heißt, wenn die USA Europa auffordert, mehr Geld für Rüstung auszugeben, so ist das auch deren Geschäftsinteresse. Das müsste man sozusagen europäisieren. Dann braucht es eine viel stärkere Integration der europäischen Länder, auch in Richtung Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Und wenn man das macht, dann würde man mit jenen Mitteln, die man jetzt schon für Rüstung ausgibt, leicht auskommen. Wenn ich sage, umrüsten statt aufrüsten, dann meine ich, dass man ganz stark friedliche Konfliktlösungsmethoden und -mittel stärken, einüben und ausbilden muss.
„Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor“
„Si vis pacem para bellum“ lautet ein lateinisches Sprichwort – „Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor“. Vereinfacht gefragt: Stimmt das so oder wieder?
Dieser lateinische Spruch mag vielleicht bis zum Ende des 19. Jahrhunderts einen gewissen Sinn gehabt haben, nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg wäre das aber sozusagen ein Selbstmordprogramm. Die Menschheit hat spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg erkannt, dass alles getan werden muss, um Kriege zu überwinden. Die Charta der Vereinten Nationen kennt ausdrücklich ein Gewaltverbot, Krieg ist eigentlich verboten. Ich weiß auch, dass das seit 1945 nicht wirklich geklappt hat. Aber der Weg, den wir beschreiten müssen, ist ein Weg, der zur Überwindung des Krieges führen muss.
Frieden und Waffen
Wenn Europa nicht nachrüstet, reiben sich dann die Diktatoren in aller Welt, etwa auch Putin, die Hände?
Selbst ohne die USA ist Europa, was die Waffenzahlen betrifft, stärker gerüstet als Russland. Wenn man das Geld, das man jetzt ausgibt, in eine koordinierte europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik investiert, dann ist Europa genug gerüstet, um abschreckend auf Russland oder andere zu agieren. Mein Vorschlag lautet daher nicht komplettes Abrüsten, sondern sich von den USA unabhängig zu machen, die Waffen in Europa zu produzieren und die europäischen Länder viel stärker auch verteidigungspolitisch zu integrieren. Europa muss die Kraft und den politischen Mut und den politischen Entscheidungswillen aufbringen, Verteidigung und Sicherheit gemeinsam aufzubauen. Das ist in meinen Augen ein Hoffnungsprogramm.
Gescheitertes Friedensprojekt?
Sehen Sie die Europäische Union als Friedensprojekt gescheitert? War dieses Projekt sowieso nur möglich und denkbar aufgrund der amerikanischen Nuklearmacht und ihrer konventionellen militärischen Stärke?
Von der Gründung her ist die Europäische Union ein großartiges Friedensprojekt. Natürlich sind die Hoffnungen, die damit verbunden worden sind, noch nicht Wirklichkeit geworden. In den letzten Jahren ist dieses europäische Projekt auch durch Entwicklungen in manchen Mitgliedsländern unter Druck gekommen. Es geht darum, durch dieses Projekt der Welt ein Beispiel zu geben, wie Friede durch Recht möglich ist, und wir müssen alles tun, um dieses europäische Projekt gelingen zu lassen. Das ist die große Aufgabe, vor der wir stehen. Wir haben jetzt die Möglichkeit und auch die Notwendigkeit, sozusagen die Sicherheits-, Friedens- und Verteidigungsfrage gemeinsam zu lösen. Wenn wir das tun, dann ist das ein wichtiger Schritt, das Friedensprojekt Europa erfolgreich werden zu lassen. Und wenn uns das nicht gelingt, dann ist das auch ein ganz gefährliches Signal für die Welt insgesamt, weil man dann sagt, dass Friede durch Recht letztendlich nicht funktioniert. Das wäre angesichts der technischen Möglichkeiten und der beiden vergangenen Weltkriege ein sehr gefährlicher Weg.