„Frauen sollten sich alles zutrauen“
März-Serie: Frauen, die bewegen
Wir treffen Österreichs „First Lady" Doris Schmidauer in ihrem Büro in der Wiener Hofburg. Hier befindet sich auch der Amtssitz ihres Mannes: Alexander van der Bellen ist seit 2017 demokratisch gewählter Bundespräsident von Österreich. In freundlicher und entspannter Atmosphäre erzählt sie über sich und ihr neues Buch. Im Interview mit dem SONNTAG spricht sie über ihre Beweggründe, die Herausforderungen heute und warum sie sich selbst lieber als „First Volunteer“ denn als „First Lady" sieht.
Frauen in Österreich
Ihr Buch „Land der Töchter zukunftsreich“ erscheint im März, passend zum Frauenmonat. Es stellt eine beeindruckende Vielfalt an Frauen aus Österreich vor. Wie haben Sie diese Auswahl getroffen?
Doris Schmidauer: Nina Horaczek und ich wollen mit diesem Buch Frauen inspirieren und motivieren. Unser Ziel war es, die Vielfalt bemerkenswerter Frauen in Österreich sichtbar zu machen – mit ihren unterschiedlichen Lebensgeschichten, Schwerpunkten und Interessen. Sie stehen für viele Initiativen, die ich in den letzten Jahren begleitet habe. Ob beim Klimaschutz, der Integration oder in der politischen Partizipation – Frauen leisten in all diesen Bereichen Großartiges. Ein Beispiel sind die Bürgermeisterinnen: Nur zehn Prozent der Gemeindeoberhäupter sind Frauen. Wir müssen sie gezielt fördern und ermutigen, sich politisch zu engagieren. Besonders am Herzen liegt mir meine Arbeit mit der Caritas. Die im Buch vorgestellte Frau Rosi steht hier für viele Frauen, die durch Unterstützung wieder ein selbstbestimmtes Leben führen können. Ich habe sie vom ersten Pressegespräch bis zu dem Moment begleitet, als sie ihre eigene Wohnung bezog. Das zeigt, worauf es ankommt: nicht nur kurzfristige Hilfe, sondern langfristige strukturelle Veränderungen.
Erfolge für Frauen
Welche Erfolge gab es in den letzten Jahren für Frauen in Österreich?
Ehrlich gesagt, zu wenige. Große Durchbrüche kann ich nicht erkennen. Zwar wurden im Bereich Gewaltschutz Fortschritte erzielt, und Österreich setzt mit Maßnahmen zur Istanbul-Konvention wichtige Schritte. Aber vor allem in der Prävention muss mehr getan werden – damit wir Gewalt gar nicht erst bekämpfen müssen. Auch bei der Frauenbeteiligung sehe ich zu wenig Bewegung. Ambitionierte Quotenregelungen fehlen, und die ungleiche Verteilung unbezahlter Arbeit – sei es Kinderbetreuung, Pflege oder Haushalt – bleibt ein großes Hindernis. Frauen tragen hier weiterhin die Hauptlast. Was mich jedoch positiv stimmt, ist die enorme Energie in Frauennetzwerken. Ich durfte in den letzten Jahren viele Gruppen kennenlernen – von Architektinnen über Juristinnen bis hin zu Unternehmerinnen. Der Austausch und die gegenseitige Unterstützung sind beeindruckend. Wenn wir diese Kraft noch stärker bündeln, können wir Gleichberechtigung schneller vorantreiben.
„Ob beim Klimaschutz, der Integration oder in der politischen Partizipation – Frauen leisten in all diesen Bereichen Großartiges.“
Doris Schmidauer
Migration ist ein brisantes Thema – besonders, wenn es um Frauen aus stark patriarchalen Milieus geht. Wie können sie gestärkt werden, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen?
Zunächst ist es eine Frage der Haltung: Begegnen wir diesen Frauen mit echtem Interesse und der Bereitschaft, sie in unsere Gesellschaft zu integrieren? Ein beeindruckendes Beispiel in meinem Buch ist das Projekt „Die Nachbarinnen“, gegründet von Christina Scholten. Es unterstützt migrantische Frauen, die in patriarchalen Strukturen leben und oft kaum das Haus verlassen dürfen. Ehemals selbst betroffene Frauen suchen diese Familien auf, ermutigen sie zur Ausbildung und helfen vor allem beim Deutschlernen – ein zentraler Schlüssel zur Selbstbestimmung. Wichtig ist auch, die Männer mit einzubeziehen und ihnen zu vermitteln, was Gleichberechtigung in Österreich bedeutet – für alle, unabhängig von ihrer Herkunft. Die Nachbarinnen leisten hier wertvolle Arbeit, indem sie nicht nur Werte vermitteln, sondern sie auch vorleben. Ein Projekt, von dem wir viel lernen können.
Sie legen wenig Wert auf den Titel First Lady?
Genau, ich identifiziere mich nicht damit. Für mich trifft „First Volunteer“ besser zu, denn meine Arbeit ist ehrenamtlich. Es gibt keine festgelegte Rolle – jede gestaltet sie selbst. Ich sehe mich als Teil des großartigen Teams in der Präsidentschaftskanzlei und setze mich besonders für Gleichberechtigung, Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Kinderrechte in Österreich ein. Mein Ziel ist es, diesen Themen mehr Öffentlichkeit und Priorität zu verschaffen.
Klassische Rollenverteilung
Sie beschreiben Ihr Aufwachsen in Peuerbach im Buch – es war für Sie persönlich gleichberechtigt, doch Ihre Eltern lebten eine klassische Rollenverteilung. Was haben Sie daraus mitgenommen?
Ich bin in einer typischen 70er-Jahre-Familie aufgewachsen: Mein Vater war Alleinverdiener, meine Mutter blieb nach der Heirat und den Kindern zu Hause. Obwohl sie gern wieder gearbeitet hätte, entsprach das nicht dem damaligen Selbstverständnis meines Vaters als Schuldirektor. Interessant war, dass mein Bruder und ich in unseren Bildungswünschen immer gefördert wurden – völlig unabhängig von späterem Einkommen. Mein Vater war stolz auf meine Karriere, aber für seine Frau galt ein anderes Maß.
Ihr feministisches Interesse entwickelte sich früh – wann begann Ihr Weg zur Feministin?
Schon in der Schulzeit, dank engagierter Lehrerinnen. Wir lasen feministische Literatur, die Zeitschrift Emma tauchte auf, und wir diskutierten viel über Gerechtigkeit, Ungleichheit und Solidarität. Das prägte mich – und führte mich letztlich zum Studium der Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Frauenforschung.
Zu Hause kochen Sie – das haben Sie im Buch erwähnt. Stimmt das?
Ja, das ist richtig – aber nicht täglich, da wir viel unterwegs sind.
„,First Volunteer‘ trifft besser zu, denn meine Arbeit ist ehrenamtlich.“
Doris Schmidauer
Und beim Einkaufen übernehmen Sie auch meist das Steuer?
Es geht einfach schneller, wenn ich es allein mache. Wenn wir gemeinsam einkaufen, ist es eher ein Event – mein Mann wird oft angesprochen, es gibt viele Selfie-Wünsche – bis das erledigt ist, habe ich meist schon alles besorgt.
Ihnen sind Freundschaften und Familie sehr wichtig. Wie bringen Sie das neben Ihren Aufgaben unter?
Freundschaften begleiten mich ein Leben lang. Wenn etwas wichtig ist, findet man immer Zeit. Ich versuche, bei möglichst vielen Familienterminen dabei zu sein – und mit etwas Planung klappt das gut. Diese Kontakte erden mich, egal, was politisch oder in der Welt passiert.
Eine Botschaft für Frauen
Wo können Sie am besten entspannen?
Am liebsten in Tirol – sei es im Urlaub oder einfach zum Abschalten. Dort genießen wir einsame Wanderungen, fernab von Ablenkungen, ohne Computer oder Fernseher. Wir wandern, lesen und treffen manchmal Freunde, aber meist sind wir ganz für uns.
Gibt es eine Botschaft, die Sie an Frauen senden möchten?
Frauen sollten sich alles zutrauen und sich nicht von Hindernissen oder Zuschreibungen abhalten lassen. Viele Barrieren sind konstruiert – also weg damit! An die eigene Kraft glauben und sich mit anderen vernetzen, das ist entscheidend.

Zur Person:
Doris Schmidauer, geboren 1963, studierte Politikwissenschaften und war unter anderem als Geschäftsführerin des Grünen Klubs im Parlament tätig. Sie ist die Ehefrau des amtierenden Präsidenten Alexander Van der Bellen.
Benefiz-Suppenessen
Zu Beginn der Fastenzeit organisiert die Katholische Frauenbewegung (kfbö) im Rahmen ihrer Aktion Familienfasttag wieder zahlreiche Benefizsuppenessen. Der Erlös kommt den rund 70 geförderten Hilfsprojekten der kfbö zugute, die die Lebenschancen von Frauen verbessern sollen. Am 12. März geht das Fastensuppen-Essen mit prominenten Unterstützerinnen im Wiener Rathaus über die Bühne – auch mit Doris Schmidauer: „Das ist eine schöne Tradition, an der ich gerne teilnehme. Es geht dabei um gelebte internationale Solidarität und das Über-den-eigenen-Tellerrand-Schauen. Frauenprojekte werden unterstützt, die Frauen helfen, selbstständig zu leben – nicht durch Almosen, sondern durch Hilfe zur Selbsthilfe“, betont sie. ▶ teilen.at

Buchtipp
Hier geht´s zur BestellungDas Buch „Land der Töchter zukunftsreich“ von Doris Schmidauer und Nina Horaczek verbindet persönliche Einblicke mit eindrücklichen Porträts außergewöhnlicher Frauen. Schmidauer erzählt von ihrer Kindheit und Jugend auf dem Land sowie von ihrer Sicht auf Freundschaft und Familie. Ein zentrales Anliegen des Buches ist der Einsatz für Chancengleichheit und Gleichberechtigung.
Doris Schmidauer, Nina Horaczek, Land der Töchter zukunftsreich, Molden, 192 Seiten, ISBN: 978-3-222-15134-7, EUR 26,–