Falscher Mönch im Orgientheater
Bücher, Bücher, Bücher. Erst die „ungehörige Indiskretion“ vom bereits vor zwei Wochen besungenen Georg Gänswein mit seinem boulevardesk aufgegriffenen Buch „Nichts als die Wahrheit“. Dann –
wie eine posthume lehrmeisterliche Maßregelung – Benedikts letzte Schriften unter dem Titel „Was ist das Christentum?“. „Ratzinger pur“, schwärmen seine Fans. „Ratzinger pur“, stöhnen seine Kritiker. Und nun auch noch ein neuer Interviewband des Dritten im Bunde des vatikanischen Fähnlein Fieselschweifs: Kardinal Gerhard Ludwig Müller mit seinem sehr deutsch klingenden Buch „Nach Treu und Glauben“, in dem er in bewährter Manier voller Demut austeilt. Synodal auf gegenseitiges Verstehen und Begegnung auf Augenhöhe ausgelegte Anhörkreise sehen anders aus …
Über diese Dinge könnte man sich echauffieren. Aber man könnte auch den lieben Gott im Vatikan lassen und sich in die Niederungen begeben. Ganz konkret auf 90 Meter über dem Meeresspiegel. Dort nämlich, im zuletzt drei Einwohner zählenden westdeutschen stillen Örtchen Lützerath, wurde um die deutsche Energiezukunft und Klimawende gerungen. Es ging um Braunkohleabbau. Polizisten versus Demonstranten. Ein Protestcamp wurde geräumt. Bilder einer wahren Schlammschlacht kursieren im Netz. Und ein viraler Video-Hit vom „Mönch von Lützerath“ – ein Demonstrant in Franziskaner-Kutte, sein Gesicht verhüllt, der nicht etwa missioniert und Frieden stiftet, sondern einen der hilflos herumgatschenden Staatsdiener einfach umschubst. Insgesamt eine skurrile Szene, die eher an ein Orgientheater à la Hermann Nitsch denn an einen koordinierten Polizeieinsatz erinnert. Dutzende hilflos im Schlamm feststeckende Polizisten, darum johlende Demonstranten. Und der „Mönch“.
Was mich zu Benedikts Frage zurückführt: „Was ist das Christentum?“ Die Causa bietet unfreiwillig eine Antwort: Denn die deutschen Bischöfe haben sich mit den Demonstranten solidarisiert, jedoch Gewaltverzicht eingemahnt und sich – natürlich – nicht vor Ort blicken lassen. Doppelt abgesichert auf der Seite der Guten. Der „Mönch“ – auch wenn er noch so „falsch“ war, noch so eine Karikatur – stand am Ende auch für etwas Christliches ein: dafür, im wahrsten franziskanischen Sinne im Dreck des Lebens zu stehen, einzustehen für eine Haltung. OK, er hat einen Polizisten umgeschubst. Das war nicht nett. Entsprechend hastig distanzierten sich die deutschen Franziskaner von ihm. Hätte er sich stattdessen am Polizisten festgeklebt, wäre er wohl zum Helden der christlichen Klimabewegung geworden …