Exerzitien als Anleitungen zur geistlichen Lebenskunst
Gott suchen und findenWie das denn geht, Gott zu finden? – „Ich weiß gar nicht, ob das die Menschen überhaupt interessiert“, sagt der Wiener Moraltheologe und Priester Matthias Beck im Gespräch mit dem SONNTAG: „Eigentlich sollte der ursprüngliche Buchtitel lauten: Der Einzelne. Meiner Meinung nach kommt der Einzelne in der Geschichte der Kirche zu wenig vor. Es wird immer gesagt: Die Kirche, die Gemeinschaft der Gläubigen, das Volk Gottes als Ganzes . In meinem Buch geht es jedoch um die Beziehung des Einzelnen zu Gott: Was ist meine Spiritualität? Wie finde ich Gott? Welche Rolle spiele ich dabei? Das Buch ist eine Anleitung, sich selber und Gott zu finden. Es orientiert sich an den Exerzitien des heiligen Ignatius von Loyola.“
Warum dürfen wir uns als Christen ein Bild von Gott machen?
Das Alte Testament sagt: Ihr sollt euch kein Bild von Gott machen. Das ist richtig und bleibt auch gültig, weil wir nicht Gott in unsere kleinen Vorstellungen pressen sollen. Aber: Das göttliche Wort, der Logos, ist Mensch geworden. Jesus Christus sagt: Wer mich sieht, sieht den Vater. Christen dürfen sich ein Bild von Gott machen, weil sie durch Jesus Christus hindurch den Vater sehen. Jesus ist die Ikone, die hindurchscheinen lässt, wie der Vater ist.
Verstellen die verzerrten Gottesbilder den Blick auf den lebendig machenden Gott?
Ja. Leider sehr. Viele Menschen sind fehlinformiert worden. Nicht nur meine These lautet: Ein Teil des Atheismus kommt durch die Vermittlung falscher Gottesbilder oder, wie auch das Zweite Vatikanische Konzil sagt, durch ein schlecht vermitteltes Christentum. Diese Verstellungen gilt es wegzuräumen. Mein Buch, angelehnt an die Exerzitien von Ignatius von Loyola, soll Hilfestellung dazu geben: Wie kann ich diese Verstellungen wegräumen, um dem wahren Gott zu begegnen?
Wie kann ein „Raum der Stille“, wie Sie in Ihrem Buch schreiben, im eigenen Inneren aussehen?
Das will ein bisschen geübt sein. „Askein“ im Griechischen heißt „üben“. Askese heißt also nicht nichts essen, sondern üben. Wenn ich Tennis spielen, wenn ich Pianist werden will, dann muss ich jeden Tag üben. Diese Stille im eigenen Inneren, die kann man einüben, indem man sich immer wieder Orte der Stille sucht. Täglich drei, vier Mal jeweils für ein paar Minuten. Still werden, zur Ruhe kommen, Acht geben auf das, was in mir vorgeht. Dann wird sich langsam auch ein innerer Friede einstellen.
Wir sollen den Willen Gottes suchen, immer wieder täglich neu...
Wozu dienen die Exerzitien des heiligen Ignatius?
Wir sollen den Willen Gottes suchen, immer wieder täglich neu, um uns selbst zu finden. Ignatius sagt immer wieder: Zum Heil deiner Seele. Um sich einerseits einzufügen in den göttlichen Plan, der von der Freiheit des Menschen mitabhängig ist, und andererseits zum Heil der eigenen Seele. Eine gute Spiritualität soll heilend sein. Sie kann durch das Hinhören auf die leise göttliche Stimme in mir mich und die anderen heilen.
Zur ersten Woche der Exerzitien: Wie können wir bewusst leben lernen?
Die erste Woche der Exerzitien dreht sich um den einzelnen Menschen. Jeder kann seine Biografie anschauen, um etwas von den eigenen Prägungen zu erkennen, um den guten und schlechten Prägungen sowie den Verstellungen auf den Grund gehen zu können. Am Anfang stehen also das Betrachten und die Rückschau. Dahinter steckt eine gute Erkenntnis der Psychologie: Dass ich nämlich die ganze Welt immer durch meine Augen anschaue. So wie ich geprägt worden bin, so werde ich die Welt beurteilen. Deshalb ist der Einzelne so wichtig. Jeder hat seine Welt, ist auf seine Weise erzogen, geprägt worden.
Matthias Beck
Leben ist …
für mich Lebensentfaltung und gelingt auch nur in der Anbindung an den, der von sich sagt: Ich bin das Leben.
Sonntag ist …
für mich ein Ruhetag. Aus dem Sonntag gehen wir in den Alltag. Ora et labora, erst das Gebet, dann die Arbeit. Der hl. Ignatius von Loyola sagt: „Contemplativus in actione“, aus der Stille in die Arbeit, aus dem Sonntag in den Montag.
Glaube ist …
für mich die innere Anbindung an den Gott, der mich zur Fülle meines Lebens führen möchte.
Zur zweiten Woche der Exerzitien: Wie kann die eigene Berufung entdeckt werden?
Indem ich schon in der ersten Woche schaue, wie es mit meinen Sinnen und Empfindungen steht. Ob mir beispielsweise meine Kindheit Angst gemacht hat oder Frieden einflößt. Die zweite Woche dient der Unterscheidung der Geister. Da gibt es die Stimme der Eltern, die Stimme von meinem Ich, und die stille, leise Stimme Gottes. Diese Stimme spricht nicht. Der Philosoph Martin Heidegger sagte: Das Gewissen spricht in der Weise des Schweigens. Man soll in der zweiten Woche lernen, diese verschiedenen Stimmen und Stimmungen in sich zu analysieren und zu verstehen. Wo finde ich meinen Frieden? Wie beeinflussen mich die Stimme der Mutter, des Vaters, der Umwelt? Wie finde ich dazwischen die Stimme Gottes, auf die ich mich einlassen darf. Ihr zu folgen löst eine bestimmte Qualität des inneren Friedens aus.
Was ist das Thema der dritten Woche der Exerzitien?
Das Leiden. Der Mensch kann und soll sich dem göttlichen Willen immer mehr überlassen. Das geht nicht ohne Konflikte, ohne Leiden ab. Der innere Kampf, das Geschehen zwischen Gott und Mensch hat auch leidvolle Seiten. Thema der dritten Woche ist es, das Leiden Jesu zu betrachten, aber durchaus auch mein eigenes Leiden in den Blick zu nehmen. Das Christentum schaut nüchtern auf das Leben und nimmt auch die schweren Seiten ernst.
Was ist dann das Ziel der vierten Woche der Exerzitien?
Die Auferstehung. Wir bleiben nicht beim Karfreitag, beim Kreuzestod stehen. Denn die Auferstehung ist das Zentrum des Christentums, sie feiern wir zu Ostern und jeden Sonntag. Der Mensch soll durch die Tiefe seines Leidens hindurch zur Sonne kommen. Das Dunkle, das Schattenhafte, das Leidhafte sind nicht das Ende, es soll erlöst werden. Der Mensch soll durch die Krisen seines Lebens hindurch letztlich zu dem gelangen, was wir Ewigkeit, Fülle des Lebens, Sein bei Gott nennen. Das wird dann bei Ignatius für den Alltag zusammengefasst zum Gebet der liebenden Aufmerksamkeit. Ein sehr schönes, stilles Reflektieren: dreimal täglich kurz innehalten, über Begegnungen und Ereignisse nachdenken und ins Gebet bringen. So kann sich jeder Mensch jeden Tag neu auf das Wesentliche und auf Gott ausrichten.
Matthias Beck
Geboren 1956 in Hannover/Deutschland
Universitäre Ausbildung:
Univ.-Prof., Dr. med., Dr. theol., Mag. pharm., Habilitation in Moraltheologie. Seit 2007 Außerordentlicher Universitätsprofessor für Moraltheologie/Medizinethik an der Universität Wien, Priesterweihe 2011.
Mitgliedschaften:
Österreichische Bioethikkommission, Beratergremium der Europäischen Bischöfe in Brüssel
(COMECE), Europäische Akademie der Wissenschaften und Künste, Päpstliche Akademie für das Leben (Pontificia Academia Pro Vita). Sachverständiger im Deutschen Bundestag und im Deutschen Ethikrat. Autor zahlreicher Bücher im Grenzgebiet von Naturwissenschaft, Medizin, Philosophie und Theologie.
Aktuelles Buch:
Matthias Beck, Gott finden. Wie geht das?, Styria-Verlag