Entführt, vergewaltigt, zwangskonvertiert
Einsatz für Menschenrechte in PakistanChristinnen werden in Pakistan doppelt diskriminiert – aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Religion. Die Menschenrechtsaktivistin Katherine Sapna gründete 2015 die Hilfsorganisation „Christians True Spirit“ (CTS), die den Frauen Schutz und humanitäre Hilfe, aber auch Rechtsbeistand bei Behörden und Gerichten und Möglichkeiten der Bildung bietet. Unterstützt wird sie in ihrer Tätigkeit, die auch Hilfe für christliche Männer und Kinder mit einschließt, von Missio Österreich.
Was hat Sie dazu bewogen, die Organisation „Christians’ True Spirit“ zu gründen?
Katherine Sapna: Weil ich als Frau das Gefühl hatte und noch immer habe, dass christliche Minderheiten in Pakistan leiden, insbesondere christliche Frauen und minderjährige Mädchen verfolgt, entführt, vergewaltigt und zur Konversion zum Islam gezwungen werden. Meistens im Alter von 11, 12 oder 13 Jahren. Und sie werden gezwungen, ihre Vergewaltiger zu heiraten. Zweifellos gibt es in Pakistan viele Organisationen, die sich für die Verteidigung der Menschenrechte einsetzen, aber die christlichen Minderheiten werden immer ignoriert. Ihnen wird nicht so geholfen wie den anderen Frauen, denen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder die Hilfe bekommen, um Gerechtigkeit zu erlangen. Deshalb war ich der Meinung, dass es eine Organisation geben sollte, die speziell die Rechte von Minderheiten, vor allem von Christen in Pakistan, unterstützen kann.
Welcher Fall hat Sie in den vergangenen Jahren besonders erschüttert?
Es geschah im Juli 2021. Anam war acht Jahre alt und ging in die dritte Schulklasse. Es war gerade Erntezeit. Anams Familie schnitt auf den Feldern den Weizen. Das Mädchen half ihren Eltern und begab sich auf Wassersuche. Dabei wurde sie von einem muslimischen Mann gefangen genommen. Er zerrte sie in die Büsche und vergewaltigte sie. Die Polizei wollte den Fall nicht zur Anzeige bringen, aber die Familie brachte das Mädchen ins Krankenhaus. Es blutete, die Ärzte nahmen es sofort auf und versorgten ihre Verletzungen. Die Mediziner stellten fest, dass das Mädchen in Zukunft keine Kinder bekommen könnte. Unsere Organisation bereitete sich auf einen langen Gerichtsprozess vor. Wir standen vor einigen Herausforderungen: Es gab einerseits Druck vonseiten der Muslime, andererseits lebt die Familie in ärmlichen Verhältnissen. Der Vater fürchtete, seinen Arbeitsplatz zu verlieren, wenn er sich für die Gerichtsverhandlungen immer wieder freinehmen müsste. Wir gaben finanzielle Unterstützung, damit der Vater jedes Mal im Gericht dabei sein konnte. Der Prozess dauerte insgesamt mehr als ein Jahr. Im September 2022 wurde der Täter zu einer lebenslangen Haft und zu einer Geldstrafe verurteilt. Jetzt wohnt die Familie in einer sicheren Unterkunft, die unsere Organisation zur Verfügung gestellt hat. Anam geht wieder zur Schule.
Ein Anti-Terror-Gericht hat zwei christliche Brüder in einem publiken Blasphemie-Fall in der Provinz Punjab freigesprochen. Es stellte sich heraus, dass sie von örtlichen Muslimen reingelegt wurden, die sie aus persönlicher Feindschaft beschuldigten.
Rocky Masih und Raja Masih, Bewohner einer christlichen Kolonie in der Stadt Jaranwala, wurden beschuldigt, den Koran geschändet zu haben. Berichten zufolge wurden auf dem Boden Koranseiten sowie ein Brief mit blasphemischen Äußerungen und dem Namen von Raja Masih entdeckt. (Anm. der Red.) Daraufhin stürmten aufgebrachte Muslime das christliche Wohnviertel und verwüsteten Häuser und Kirchen. Nach der Verhaftung der Masih-Brüder wandten wir uns an hohe Beamte, um eine faire Untersuchung des Falles zu erreichen. Es stellte sich bald heraus, dass selbst die Polizei die beiden für unschuldig hielt. Die christlichen Brüder waren also vom ersten Tag an unschuldig, aber die Regierung brauchte sechs Monate, um sie freizubekommen, und so wurden sie in der ersten Märzwoche aus der Haft entlassen.
Mit welchen Herausforderungen sind Sie konfrontiert, wenn Sie Fälle im Zusammenhang mit den Blasphemiegesetzen bearbeiten?
Ja, es ist wirklich schwierig, den Opfern von Blasphemievorwürfen zu helfen. Es gibt ein paar Beispiele aus der Vergangenheit: Als die Katholikin Asia Bibi im Gefängnis saß und zum Tode verurteilt wurde, wollte der damalige Gouverneur von Punjab, Salman Taseer, ihr helfen und die Regierung in Islamabad davon überzeugen, dass sie unschuldig ist und freigelassen werden sollte. Taseer wurde 2011 von seinem eigenen Leibwächter ermordet. Zwei Monate später wurde der erste Christ als Minister für Minderheiten, Shahbaz Bhatti, in Islamabad ermordet, weil er sich für die Änderung der Blasphemiegesetze einsetzte. Die der Blasphemie Bezichtigten an einem sicheren Ort unterzubringen oder sie vor Gericht zu unterstützen, ist wirklich gefährlich. Manchmal werden wir von den gegnerischen Gruppen sehr ernsthaft bedroht. Stets ist auch unser Leben in Gefahr. Aber da wir uns unserer Arbeit verpflichtet fühlen, versuchen wir, uns gegenseitig im Team sicherheitstechnisch zu unterstützen. Wir sind sehr um den Schutz der Familien der Opfer besorgt, die zu den Gerichtsverhandlungen kommen, und um die Sicherheit der Opfer, wenn sie aus dem Gefängnis entlassen werden.
„Die Löwin von Lahore“
Die heute 45-jährige Katherine Sapna wurde in Verpal Chattah, einem kleinen Dorf im Bezirk Gujranwala in der Provinz Punjab geboren. Sie besuchte zunächst die Saint Joseph School in Sialkot, die von der Kongregation der Ordensschwestern Jesu und Mariä betrieben wird. Danach absolvierte sie die Saint Mary’s High School, die in Gujranwala von den Barmherzigen Schwestern von Jesus und Maria geleitet wird. Anschließend studierte Katherine Sapna Geschichte an der Universität von Punjab, wo sie ihr Studium mit einem Mastergrad abschloss.
2015 gründete Katherine Sapna in Lahore, der zweitgrößten Stadt Pakistans, die Organisation „Christians’ True Spirit“ (CTS). Diese bietet in Schutzhäusern erste Anlaufstellen für weibliche Gewaltopfer und kümmert sich sowohl um die körperliche und seelische Gesundheit wie auch die korrekte juristische Vertretung der Betroffenen. CTS bietet auch die Möglichkeit zur Bildung und Berufsausbildung für Mädchen und Frauen. Da Katherine Sapna mutig und unermüdlich für Unterdrückte und Ohnmächtige kämpft, wird sie als „Löwin von Lahore“ bezeichnet.
Missio Österreich unterstützt die Arbeit von Katherine Sapna:
Ein Leben in ständiger Angst
Pakistan gehört laut dem christlichen Hilfswerk „Open Doors“ zu den zehn Ländern der Welt, in denen Christen der stärksten Verfolgung und Diskriminierung wegen ihres Glaubens ausgesetzt sind. Seit der Gründung im Jahr 1947 ist die Islamische Republik Pakistan ein muslimisch geprägter Staat.
96 Prozent der Bevölkerung (225,9 Millionen) sind Muslime, von denen die Mehrheit der sunnitischen Tradition folgt. Christen machen weniger als zwei Prozent der Bevölkerung (4,2 Millionen) aus.
Während traditionelle christliche Gemeinschaften ein gewisses Maß an Freiheit genießen, stehen sie unter strenger Beobachtung und waren in der Vergangenheit oft Ziel von Bombenanschlägen, wie beispielsweise der schwere Anschlag in Quetta (Provinz Belutschistan) im Dezember 2017 zeigt. Christliche Gemeinden, die sich aktiv in der Verkündigung des Evangeliums und in der Jugendarbeit engagieren, sehen sich einer intensiven Verfolgung ausgesetzt.
Institutionelle Diskriminierung betrifft alle Christen im Land. Bestimmte Berufe, die als minderwertig und unrein angesehen werden, sind oft ausschließlich Christen vorbehalten, wie es Stellenanzeigen offenlegen. Viele Christen leben in Armut und sind daher anfällig für Schuldknechtschaft.
Die strengen Blasphemiegesetze in Pakistan richten sich insbesondere gegen religiöse Minderheiten, einschließlich muslimischer Minderheitengruppen. Die gefährliche Natur dieser Gesetze wurde im August 2023 in der Stadt Jaranwala (Provinz Punjab) sichtbar, als mindestens 21 Kirchen in Flammen aufgingen oder beschädigt wurden und Hunderte Christen gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen. (Siehe auch Fall der Brüder Masih im Interview.)
Christliche Konvertiten, die aus einem muslimischen Hintergrund kommen, leiden besonders schwer unter der Verfolgung. Diese geht sowohl von extremistischen islamischen Gruppen aus, die Konvertiten als Abtrünnige sehen, als auch von eigenen Familienmitgliedern, Freunden und Nachbarn, die den Übertritt zum Christentum als Schande und Verrat betrachten.