„Eine zweite Chance bekommst du nicht“

Passionswege - Teil 6
Ausgabe Nr. 15
  • Soziales
Autor:
Silvi Muehringer lebt seit Kurzem in der Nähe von Sankt Pölten. Sie engagiert sich seit vielen Jahren in der Suizidprävention.
Silvi Muehringer lebt seit Kurzem in der Nähe von Sankt Pölten. Sie engagiert sich seit vielen Jahren in der Suizidprävention. ©Monika Fischer

Silvi Muehringer litt schon als Jugendliche unter Depression und hat mehrmals versucht, sich das Leben zu nehmen. Heute ist sie unendlich froh, dass diese Versuche gescheitert sind. Das Thema Suizid ist noch immer ein Tabu, dabei würde vor allem eines helfen: reden.

Wer nie eine Depression erleben musste, kann sich nicht vorstellen, wie sich das anfühlt. „Es fühlt sich so an, als wäre ich in Plexiglas eingegossen oder in Gelee“, beschreibt es Silvi Muehringer, „ich kann vielleicht ein bisschen wackeln, fühle mich aber ziemlich unbeweglich. Da braucht es jemanden von außen, der so lange daneben sitzen bleibt, bis das Gelee wegschmilzt, oder hilft, es wegzuschaffen. Oder jemanden, der einfach da ist, damit man weiß, man ist nicht alleine.“

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Depression seit der Jugend

Schon als Jugendliche litt Silvi Muehringer unter Depressionen, diagnostiziert wurden sie aber erst Jahrzehnte später. „Zu wissen, dass dieser Zustand einen Namen hat und es eine Krankheit ist, entlastet schon.“ Die gebürtige Wienerin und Wahl-Niederösterreicherin hat sich zuerst schwergetan, Hilfsmittel wie Medikamente oder Aufenthalte auf psychiatrischen Stationen anzunehmen. Heute sieht sie das anders: „Wenn ich mir den Fuß verletze, nehme ich eine Krücke, bis ich wieder gehen kann. Psychopharmaka sind auch eine Art Krücke, sie sind eine von mehreren Schienen, die man fahren kann, damit es einem besser geht.“

„Es ist wichtig, nicht wegzuschauen und dranzubleiben.“

Silvi Muehringer

Suizid-Versuche

Sie haben mehrmals versucht, sich das Leben zu nehmen. Aber sterben wollten Sie eigentlich gar nicht ...

SILVI MUEHRINGER: Da geht es nicht darum, dass man den Tod will. Ich wollte nicht den Tod, sondern ich habe nur das, was war, nicht mehr ausgehalten, ich wollte nur, dass das nicht mehr ist. Die ganzen Gedanken sind nur mehr darum gekreist, dass ich diese Situation nicht mehr aushalte, ich habe mich wie in einem Nebel gefühlt und kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass ich überhaupt nichts anderes wahrgenommen habe als diesen Druck, der wie eine Nebelglocke über mir gehangen ist. Man nennt das suizidale Einengung, wenn man mit diesem Tunnelblick nichts anderes rundherum wahrnimmt und keine anderen Gedanken mehr hat, sondern sich alles nur noch auf dieses Thema konzentriert und immer enger und enger wird. Da ist das Umfeld gefordert.

Was hätte Ihnen in dieser Situation geholfen?

Mir hätte geholfen, wenn jemand unaufgefordert auf mich zugekommen wäre und mir mehrmals nachdrücklich angeboten hätte: „Ich bin da, du kannst mit mir reden.“ Wenn mich jemand darauf angesprochen hätte, das wäre wie ein Türöffner gewesen, als ob man ein Wehr hochzieht, damit dieser Druck abfließen kann. Es hätte geholfen, wenn mir jemand gesagt hätte: „Ich mache mir um dich Sorgen, ich habe Angst, dass du dir etwas antun könntest.“ Oder wenn jemand meinen Blick in irgendeine andere Richtung gelenkt hätte, zum Beispiel mit mir spazieren gegangen wäre, sich mit mir auf ein Bankerl gesetzt und gesagt hätte: „Beschreib’ mir, was du siehst.“ Ich hätte gerne mit jemandem über die Farbschattierungen von Grün in irgendeinem Busch gesprochen, weil das meine Gedanken auf etwas anderes gerichtet hätte.
Man will ja nicht, dass es zu Ende ist, aber wenn es überhaupt nichts anderes als nur dieses eine Ende vom Tunnel mehr gibt, dann ist man wirklich darauf angewiesen, dass von außen jemand kommt. 
 

Depression ist etwas anderes als sich unglücklich zu fühlen

Was sollte man in so einer Situation NICHT sagen?

Grundsätzlich ist es wichtig zu verstehen, dass eine psychische Erkrankung etwas anderes ist, als sich unglücklich zu fühlen oder Lebenskummer zu haben. Die Angehörigen sollten das nicht banalisieren. Es gibt ein paar „Killersätze“, die man nicht sagen sollte: „Reiß dich zam“, zum Beispiel, weil das kann derjenige eben nicht, wenn er eine depressive Erkrankung hat. Oder: „Na geh, das hat jeder schon einmal gehabt, so schlimm ist das nicht.“ Beim Erkrankten kommt an: Ich nehme dich nicht ernst. Oder: Ich glaube dir nicht. Man kann sagen: „Ich verstehe nicht, was mit dir ist, ich sehe aber, dass etwas mit dir ist, und mache mir Sorgen. Ich weiß nicht, was dir helfen könnte. Soll ich Hilfe oder einen Gesprächspartner für dich suchen?“ Wichtig ist, nicht wegzuschauen und dranzubleiben. 
 

Warnzeichen bei Suizidgefahr

Gibt es Warnzeichen, die auf eine Suizidgefahr hinweisen?

Es gibt kein einziges Anzeichen dafür, wann es wirklich gefährlich wird. Aber absolut hellhörig sollte man werden, wenn eine Person, die sich eine Zeitlang zurückgezogen und merkwürdig verhalten hat, und man das Gefühl hatte, da stimmt etwas nicht, wenn diese Person auf einmal aufblüht, gelassen wird, vielleicht ein paar Sachen verschenkt und so wirkt, als wäre eine Last von ihr abgefallen. Das kann ein Zeichen dafür sein, dass der Entschluss zum Suizid gefallen ist. Wenn also plötzlich ein Hoch zu bemerken ist, bitte, bitte nachfragen!

Die Tochter Ihres verstorbenen Lebenspartners hat mit 18 Jahren Suizid begangen. Das war lange, bevor Sie ihn  kennengelernt haben, aber diese Wunde ist nie verheilt, sagen Sie ...  

Er hat mir erzählt, dass er die Wohnung, in der er mit seiner Tochter gewohnt hatte, verlassen hat, so wie sie war, er hat nichts mitgenommen außer eine Jacke von ihr. Dann hat er sich in den Alkohol gestürzt, weil er nichts mehr wahrnehmen wollte. Nach drei Jahren hat er einen Entzug gemacht. Mir hat er gesagt, er habe es bewältigt, man müsse das vom Kopf her angehen. Aber hin und wieder hatte er Rückfälle in den Alkohol und dann ist seine Barriere zerbröckelt und ich habe gesehen: Er hat gelitten wie ein Hund. Immer und immer wieder sagte er den Namen seiner Tochter. Nichts war verarbeitet, nichts bewältigt. Das war wirklich brutal zum Anschauen. 

Bis 2003 lebten noch bis zu 1,5 Millionen Christen im Irak. Heute sind es nach den optimistischsten Schätzungen 400.000. 90 Prozent davon leben im Nordirak in Kurdistan oder der westlich davon gelegenen Ninive-Ebene. Rund 97 Prozent der Bevölkerung ist muslimisch, rund 60 Prozent Schiiten, 37 Prozent Sunniten. Es ist ein umfangreiches Wirken der kleinen Gemeinschaft im nordirakischen Sulaimaniyya. Zur Gemeinschaft gehören zwei Mönche und drei Frauen, die natürlich getrennt von den Mönchen leben, einzig Gebetszeiten werden miteinander verbracht sowie die Arbeit in den Kursen, denn ein Schwerpunkt liegt auf Bildung. „Wir hatten schon Elektriker- und Maurerkurse“, erläutert Pater Petzold Die Gemeinschaft bietet Sprachkurse in Arabisch, Kurdisch und Englisch, Seminare zur Rolle der Frau, um patriarchale Strukturen aufzubrechen, weiters eine Theatergruppe wie auch Meditationskurse. Rund 2.200 Menschen nahmen bisher daran teil, zwei Drittel Frauen und ein Drittel Flüchtlinge und Vertriebene. Es ist gelebte Arbeit für den christlich-islamischen Dialog. Pater Jens Petzold: „Die Kirche muss für alle offen sein, ohne dabei ihre eigene Spiritualität zu verlieren. So leben wir in unserem Kloster.“
 

"Reden Sie so oft wie möglich darüber"

Wie können wir Menschen, die so etwas erleben mussten, beistehen?  

Ein Vater, dessen Sohn vor einigen Jahren Suizid begangen hat, hat mit gesagt, was ihm geholfen hat. Nämlich unter anderem, dass die Familie ganz eng zusammengerückt ist. Ein Verwandter hat einen riesigen Häfen Suppe vor die Tür gestellt. Man ist da wie paralysiert, in Schockstarre und vergisst die alltäglichen Bedürfnisse des Lebens, dass man essen muss, zum Beispiel. Man braucht Menschen, die dranbleiben, auch wenn sie 15 oder 20 Mal zurückgestoßen werden. Die einfach nur sagen, ich bin da, und akzeptieren, dass man vielleicht gar nicht reden kann. Mein Anliegen ist, auch wenn es Sie nicht betrifft, reden Sie so oft wie möglich darüber, dass es ganz, ganz wichtig ist, dass man keinen Suizid begeht. Weil kein Angehöriger kann damit leben, dass jemand, obwohl es diesen Angehörigen gibt, der ihn liebt, der für ihn gerne etwas getan hätte, dass der trotzdem gegangen ist. Am allerschlimmsten wäre das für Kinder.

Leben mit Depression

Die Tatsache, dass die Hinterbliebenen ihr ganzes Leben lang leiden, hat Ihnen geholfen, am Leben zu bleiben ...  

Eine alte Ärztin hat mir mal gesagt, der Schmerz, diese Wunde, bleibt bei den Hinterbliebenen offen. Das war für mich lebensrettend. Es hat für mich diesen berühmten inneren Schalter umgelegt. Da hab’ ich mir gesagt, ich will auf gar keinen Fall, dass meine Tochter mit so einer Wunde leben muss.

Sie haben gelernt, mit Ihren Depressionen zu leben. Leben Sie gerne? 

Ich bin SO froh, am Leben zu sein! Wenn mein Arzt mich hin und wieder fragt, wie es bei mir mit Suizidgedanken ausschaut, dann sage ich ihm: „Ich will noch mindestens 93 Jahre alt werden, weil ich noch das und das und das machen möchte. Noch Fragen?“ Man hat nur ein Leben und wenn man da die falsche Entscheidung trifft, bekommt man keine zweite Chance. Und egal, wie alt man ist, man weiß nie, was das Leben noch für einen bereithält.

©Monika Fischer

Zur Person

Silvi Muehringer hat sich lange für die Selbsthilfe für Menschen mit psychischen Erkrankungen sowie die Krisenintervention des Roten Kreuzes NÖ engagiert.

Logo radio klassik Stephansdom.
Logo radio klassik Stephansdom. ©David Kassl

Passionswege auf radio klassik Stephansdom

Die Sendung mit Silvi Muehringer hören Sie am 12. 4. 2025 um 19:00 Uhr. (DaCapo: Mittwoch, 16. 4. 2025, 21:00 Uhr) ▶ radioklassik.at

Autor:
  • Monika Fischer
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