Ein Wiener Orden in Mexiko
WeltmissionErst vor kurzem hat Sr. Johanna Humer wieder ihre Generaloberin Sr. Christine Daniela bei der alle drei Jahre vorgesehenen Visitation der mexikanischen Mitschwestern begleitet. Im Gespräch mit dem SONNTAG erzählt Sr. Johanna vom Wirken ihrer Mitschwestern in „dem“ katholischen Land Mittelamerikas.
Wie kommt es, dass Borromäerinnen aus Wien mit Mexiko zu tun haben? Seit wann? Wo wirken die Schwestern?
JOHANNA HUMER: Das Bier ist schuld. Franz Fellner heiratete eine Mexikanerin und baute sich dort mit einer Brauerei seine Existenz auf. Seine aus Pischelsdorf in Oberösterreich stammende Nichte Crescenzia folgte ihm in jungen Jahren und machte dort ihre Ausbildung zur Lehrerin. Zurückgekehrt nach Österreich, trat sie bei uns Borromäerinnen ein. Da es in der Nachkriegszeit sehr viele Schwestern gab, entstand der Wunsch und gleichzeitig die Einladung von Onkel Fellner, in Mexiko etwas Neues zu beginnen. 1952 fuhren Crescenzia, mittlerweile Sr. Claudia Fellner, und Sr. Canisia Malzer nach Mexiko, wo in Parral im Bundesstaat Chihuahua die ersten Niederlassungen der Borromäerinnen entstanden. Es fanden sich bald interessierte junge Mexikanerinnen, die sich von der Spiritualität und dem Einsatz der Schwestern angesprochen fühlten und um Aufnahme baten. So war es möglich, weitere Niederlassungen in den Bundesstaaten Chihuahua und Jalisco und im heißen Veracruz zu gründen.
In welchen Bereichen sind Ihre Mitschwestern in Mexiko tätig?
Bis heute kümmern sich die Schwestern dort um die Ärmsten: In Schulen mit Internat wird Kindern von 3–12 Jahren aus den ärmsten Verhältnissen Bildung, Erziehung und ein religiöses Fundament geboten und somit die Basis für eine positive Zukunft geschaffen. In Altenheimen versorgen die Schwestern mit ihren Mitarbeitern arme und auch verlassene alte Menschen, die von ihrer Familie im Stich gelassen wurden oder niemanden haben.
In Mexiko gibt es zwei Extreme: die Anhänglichkeit zur Madonna von Guadalupe und die Drogenkriege der Mafias!
In der Einöde des Gebirges der Sierra Madre betreiben die Schwestern seit 1961 ein kleines Krankenhaus, das sowohl den eingeborenen Tarahumara-Indios als auch anderen Bevölkerungsgruppen für gesundheitliche Dienste zur Verfügung steht.
„Barmherzigkeit“ als viertes Gelübde
Die Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Karl Borromäus hat ihren Ursprung in einer Stiftung des Advokaten Emanuel Chauvenel, der nach dem Dreißigjährigen Krieg der Not der unversorgten Kranken abhelfen wollte. Das Ziel, wie es in der Stiftungsurkunde vom 18. Juni 1652 heißt: „Arme, Kranke und andere Verlassene, die im Krankenhaus keine Aufnahme finden, aufzusuchen, sie zu pflegen, ihnen Almosen zu geben, sie zu trösten und ihnen den Empfang der heiligen Sakramente zu vermitteln, kurz, für alle ihre Bedürfnisse nach Möglichkeit Sorge zu tragen.“
Gemäß diesem Gründungsauftrag enthält das Charisma zusätzlich zu den Gelübden Keuschheit, Armut und Gehorsam als viertes Gelübde das der beständigen Barmherzigkeit im Dienst des Nächsten und als zweiten Schwerpunkt das Gebetsleben. In Wien-Währing wirken Borromäerinnen im St. Carolusheim, das direkt dem Generalat, der internationalen Leitung, angeschlossen ist. Mit den Mitarbeiterinnen betreibt der Orden außerdem einen Kindergarten. Derzeit gehören rund 70 Schwestern zur Kongregation mit dem Generalat in Wien. Die Hälfte lebt in vier Gemeinschaften in Österreich, die andere Hälfte sind mexikanische Schwestern, die in sechs Kommunitäten leben. Von der Gründung vor 370 Jahren in Nancy, Frankreich, ausgehend, entstanden sieben solcher selbständiger Kongregationen, die geistlich in einer Föderation verbunden sind.
Was genau meinen Sie damit, dass sich Ihre Mitschwestern in Mexiko vor allem um die Ärmsten der Armen unter den Eingeborenen kümmern?
Am Beispiel des Krankenhauses in Norogachi, der Clínica San Carlos, bedeutet es, ganz nahe bei jenen zu sein, die oft das Allernötigste entbehren. Von diesem Ort aus wird monatlich in sechs abgelegene Ortschaften gefahren, um den dort im Umkreis wohnenden Menschen gesundheitliche Hilfen anzubieten, aber auch um der Unterernährung entgegenzuwirken. Jede Familie erhält je nach Kinderanzahl eine Ration Maismehl, Reis, Bohnen, Öl, Milch, Vitamintabletten. Die Kinder werden gemessen, abgewogen und ihre körperliche Verfassung wird evaluiert. Kinder und Familien, die am meisten von Unterernährung und Krankheiten betroffen sind, werden für einige Wochen in die Clínica San Carlos mitgenommen und stabilisiert. Dieses kleine Missionskrankenhaus ist nur für einfache Erkrankungen ausgestattet. Vor allem Personen mit Magen-Darm-Erkrankungen, Diabetes, Atemwegserkrankungen, Verletzungen … aber auch komplizierte Geburten können dort behandelt und betreut werden. Unerlässlich ist außerdem der Transport mit dem Rettungsauto (das als Geländewagen konzipiert ist) sowohl in unsere Clínica als auch in andere Krankenhäuser, die mehr medizinische Möglichkeiten haben.
Mexiko kommt immer wieder in die negativen Schlagzeilen durch Priestermorde und -entführungen. Sind auch Ihre Mitschwestern betroffen von der bisweilen christentumskritischen Stimmung in diesem eigentlich katholischen Land?
Für mich gibt es in Mexiko grundsätzlich zwei große Extreme. Einerseits ist der Großteil der Menschen äußerst katholisch und von tiefgläubiger Anhänglichkeit an die Muttergottes von Guadalupe geprägt, so sehr, dass selbst während der Christenverfolgung im 20. Jahrhundert, aus der viele Märtyrer hervorgegangen sind, niemand etwas gegen diesen größten Wallfahrtsort der Welt anhaben konnte und auch nicht wollte. Andererseits ist das Land geplagt von den „Drogenkriegen“ einiger Mafias, die sich jeweils die Vorherrschaft streitig machen möchten. Die Regierung ist von Korruption geprägt und, so meine ich, ein Werkzeug der Mafias. Viele Morde haben unmittelbar damit zu tun, dass es Menschen gibt, die zu viel wissen und zu viel sagen, und die man deshalb aus dem Weg schaffen will. Manchen Kriminellen geht es auch einfach um Geldbeschaffung und das oft auf grausame Weise. Einmal gab es eine Morddrohung mit Geldforderung bei einer unserer Schwestern, die aber Gott sei Dank keine ernsten Folgen hatte. Zumeist werden unsere Schwestern sehr respektiert und geschätzt, weil sie sich für die Ärmsten einsetzen.