Ein Tattoo als Türöffner
Ein Zeichen des GlaubensWaren Tätowierungen im 19. Jahrhundert ein Spleen in adeligen Kreisen – die berühmte Kaiserin Elisabeth hatte ein Tattoo – zeugten sie später manchmal sogar von einer kriminellen Vergangenheit ihrer Träger. Daneben hat die Jerusalemer Pilgertätowierung eine jahrhundertealte Tradition. Auch die Kopten in Ägypten oder die eritreischen Christen bezeugen mit christlichen Tattoos ihre Glaubenszugehörigkeit. Tätowieren ist in der heutigen Zeit geradezu eine „ästhetische Frömmigkeitsbewegung“ geworden, erzählt Christopher Paul Campbell. Der Leiter der Wiener Begegnungsstätte „Quo vadis?“ der österreichischen Ordensgemeinschaften initiierte die katholische Tattoo-Aktion mit einem „Gottesdienst für „bunte Menschen“ in der Ruprechtskirche und anschließender Podiumsdiskussion über „Glauben, der unter die Haut geht“. Interessierte konnten aus christlichen Motiven auswählen und diese dann auch vor Ort stechen lassen. Das Interesse war enorm: 400 Anmeldungen waren eingegangen, 40 konnte Silas Becks tatsächlich bewältigen. Eine war die Griechin Melina Rizopoulou.
Schützendes Michaelsschwert und Engelsflügeln
Wirklich aufgeregt ist Melina am verregneten Apriltag nicht, bevor sie ins „Quo vadis?“ zur Tattoo-Aktion aufbricht. Die 50-jährige Tanzpädagogin hat sich schon 2005 für eine erste explizit christliche Tätowierung entschieden: „Ich trage das Michaelsschwert an meinem rechten Unterarm als eine Art Türöffner, denn ich reiche den Menschen die rechte Hand zum Gruß. Und die Leute sprechen mich immer wieder darauf an.“ Welche Bedeutung hat der Erzengel für Melina? „Michael schützt uns mit seiner heilenden Kraft, er steht für Wahrheit und Freiheit.“ Überhaupt weiß sie sich von Engeln behütet und gut beschützt. Ihr zweites Tattoo in Erinnerung an ihren verstorbenen Vater zieren zwei Engelsflügel. Die griechisch-orthodoxe Gläubige hat Vorfahren auf der berühmten Mittelmeerinsel Kreta. So verwundert es nicht, dass sie sich der minoischen Kultur besonders verbunden fühlt: „Der Volkstanz ist auf Kreta entstanden. Jede Kultur hat ihre Tanzrituale. Tanz ist für mich ein spiritueller Ausdruck.“ Die positive Energie gibt sie in Tanzworkshops, mittlerweile auch in Österreich, erfolgreich weiter. Wie passen die Tätowierungen dazu? Mit den Tattooos zeigt Melina auf andere Weise, was ihr im Leben wichtig ist.
Ureigenste Botschaft Jesu
Zu dem schützenden Michaelsschwert und den Engelsflügeln der Erinnerung hat sie sich jetzt für das Wort „Liebe“ als Tattoo entschieden. Warum ein Wort? In Wien hat Melina ihre Lebensliebe gefunden, darum passt die ureigenste Botschaft Jesu und des Christentums als Kalligrafie gut für sie. Welche Beziehung hat Melina zur deutschen Sprache? „Deutsch wird zauberhaft, wenn man es erlernt. Deutsch hat eine logische Grammatik und eine sehr schöne Poesie.“ Sie empfindet die Sprache in Österreich melodiöser als in Deutschland. Apropos Melodie: Melina hat eine katholische Schule besucht und ist mit der Liturgie vertraut, die sie sehr mag und schätzt: „Für mich ist die Messe in Österreich wie ein Konzert.“
Die linke Hand kommt von Herzen
Mittlerweile läuten die Mittagsglocken von St. Stephan: Der Angelus passt gut, während Melina über den Stephansplatz ins „Quo vadis?“ zum Termin mit Silas Becks geht. Der Stuttgarter Künstler lässt sich von den Kameras und neugierigen Blicken um ihn herum nicht ablenken. Zunächst muss er Melina enttäuschen: Die Tätowierung ist aufgrund hygienischer Vorgaben nur am Arm möglich. Sie wollte das Tattoo eigentlich auf der Innenseite ihres Fußes haben. Nach einigen Minuten entscheidet sie sich doch für den linken Unterarm: „Die linke Hand kommt von Herzen.“ Das fühlt sich für sie gut an. Zunächst wird die Haut gut gesäubert und der Abdruck der Tätowierung angebracht. Silas Becks öffnet die Verpackung der Einwegnadel und sticht konzentriert mit dunkler Tinte den von ihm kreierten schwungvollen Schriftzug. Auch Melina lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Im „Quo vadis?“ ist ein Kommen und Gehen. Keine 15 Minuten später ist die „Liebe“ auf Melinas Haut verewigt – ein weiteres Zeichen ihres Glaubens und ihres Lebens.