Ein Leben für die Wiener Kirchenzeitung
Wolfgang Linhart im InterviewJahrzehntelang hat Wolfgang Linhart unzählige Interviews als Journalist für unterschiedliche Medien geführt. Diesmal ist es umgekehrt, ein Rollentausch. Er wird zu seinem erfahrungsreichen Berufsleben in der Kirchenzeitung befragt. In diesen vielen Jahren hat er insgesamt mit vier Chefredakteuren und drei Chefredakteurinnen zusammengearbeitet.
Wie bist du eigentlich zum Journalismus gekommen?
WOLFGANG LINHART: Ich bin zum Journalismus nicht über ein Studium gekommen, sondern habe es nach Gymnasium und Bundesheer wie ein „Handwerk” erlernt. Schon in der Schulzeit habe ich mit Freunden eine Schülerzeitung gestaltet, wobei mich mehr Gestaltung und Herstellung interessiert haben als die großen Reportagen. Dieses Interesse mündete schließlich in die Gründung der „Schülerzeitungsagentur SZA” unter der Schirmherrschaft der Journalistengewerkschaft, dessen Vorsitzender damals Günther Nenning war. Nach einem Ferialpraktikum bei einem Parteipressedienst hatte ich das Glück, als Schülerzeitungsredakteur ein Stipendium für den vierwöchigen Grundkurs des Kuratoriums für Journalistenausbildung – Mitgründer und erster Leiter war Heinz Pührer – zu bekommen. Diverse thematische Spezialseminare und freie Mitarbeit bei Kathpress, Kurier, dem Jugendmagazin „Die Wende“, etc. folgten.
Dann kam es zum Wechsel zur Katholischen Medien Akademie (KMA) unter der damaligen Leitung von Felix Gamillscheg. Nach mehreren Wochenendseminaren mündete das in den zweijährigen Ausbildungsturnus der KMA: bei der Kleinen Zeitung Graz, bei den Niederösterreichischen Nachrichten (NÖN) und beim ORF-Hörfunk. Ich machte diese Ausbildung nach Wolfgang Kumpfmüller und vor Roberto Talotta und Marianne Waldhäusl. Dann wurde diese Ausbildungsform, bei der sich der jeweilige Verlag und die KMA aus der Presseförderung das Aspirantengehalt teilten, leider beendet.
Wie wurdest du schließlich Redaktionsmitglied der Wiener Kirchenzeitung?
Meine Firmpatin hat gesagt, sie kennt den Chefredakteur von der Wiener Kirchenzeitung – damals schon Josef Bauer. „Stell dich doch einfach vor, der hat sicher für einen freien Mitarbeiter immer eine Aufgabe.“ Und ich bin also dorthin zum Herrn Chefredakteur.
In der Hand hielt ich Artikel, die ich in der Ausbildung bei der Kleinen Zeitung und bei den NÖN geschrieben hatte. Ich hätte gleich einen Auftrag bekommen, wenn da nicht ein anderer Termin gewesen wäre. Josef Bauer war ganz wütend: „Da kommen Sie daher und dann sagen Sie gleich beim ersten Termin, dass Sie keine Zeit haben. Dann müssen Sie aber schon eine gute Ausrede haben.“ Ich habe den Kalender aufgeschlagen. „Tut mir leid, Herr Chefredakteur, nächsten Samstag heirate ich.“ Eine Woche nach der Hochzeit habe ich als freier Redakteur bei der Kirchenzeitung angefangen.
Wie kann man sich deine Arbeit Anfang der 1980er-Jahre vorstellen?
Ich bin Samstag und Sonntag bei einigen Veranstaltungen gewesen. Um zehn am Abend – wir hatten eine kleine Wohnung – habe ich zuerst die Filme in der eigenen Badewanne entwickelt. Während diese getrocknet sind, bin ich um ein Uhr in der Früh mit der noch mechanischen Schreibmaschine am Bettrand gesessen und habe dort meine Texte geschrieben.
Du warst aber zu Beginn deiner beruflichen Laufbahn bei der Kirchenzeitung nicht nur Redakteur?
Nein, ich war zwei Jahre lang auch Pfarrbetreuer. In dieser Zeit habe ich sicher 100 bis 150 Pfarren besucht. Ich wollte dabei stets den Servicecharakter in den Vordergrund stellen und nicht ein bloßer Werber sein. Der legendäre „Stalingrad-Pfarrer“ Alois Beck von Maustrenk hat mich mit diesen Worten empfangen: „Herr Linhart, wollen Sie mir etwas verkaufen? Dann gehen Sie am besten gleich wieder. Wenn Sie jedoch eine Geschichte hören wollen, dann kommen Sie herein.“ Wenn man den Pfarrern gesagt hat, ob man den Schriftentisch besser hinstellen könnte oder man eine Werbeaktion machen könnte, waren sie eher ablehnend. Aber sie wollten ihre Geschichte in der Kirchenzeitung haben. Für mich war es nicht ganz einfach, weil ich gewissermaßen eine doppelte Funktion bekleidet habe.
Wie hast du die Kirchenzeitung in deiner Kindheit und Jugend erlebt?
Es waren damals und sind auch heute noch vorwiegend die Frauen, die sich für die Kirchenzeitung interessieren. Die Männer lesen mit. Die Frauen achteten darauf, dass diese Zeitung im Haushalt gelegen ist. Am Land häufig neben dem „Bauernbündler“. Die Kirchenzeitung war die Kerninformationsquelle. Fernsehen war noch kaum vorhanden. Für uns als Kinder und Jugendliche war es schlimm, dass im Fernsehprogramm Altersangaben standen. Wenn da gestanden ist, nach der katholischen Filmkommision ist der Film erst ab zwölf Jahren freigegeben, dann durfte ich diesen nicht ansehen. Meine Mama und viele andere Eltern auch haben sich strikt an die Altersbegrenzung gehalten. Damals waren mindestens 60 Prozent der Kirchgänger Kirchenzeitungsbezieher, sodass die Pfarrer den Hirtenbrief des Erzbischofs oft nicht in der Messe verlesen haben, sondern lediglich darauf hingewiesen haben, dieser sei sowieso in der Kirchenzeitung nachzulesen.
An welchen ersten Höhepunkt als Redakteur der Wiener Kirchenzeitung erinnerst du dich heute noch gerne?
Das war sicher der Papstbesuch im September 1983. Da gibt es ein nettes Bild „Der Papst im Stephansdom“. Da gibt es eine Einstellung nach hinten zum Haupttor. Das Gitter war zu und auf diesem Gitter hingen zwei Leute. Einer davon war ich. Wir sind auf das Gitter außen hinaufgeklettert, um nach innen fotografieren zu können.
Kleine Geschichte der Wiener Kirchenzeitung
Am 15. April 1848 – es war der Samstag vor dem Palmsonntag – erschien erstmals die von Sebastian Brunner herausgegebene „Wiener Kirchenzeitung“.“ „Wir sind stolz darauf, dass wir drei Monate älter sind als die Neue Freie Presse, heute ‚Die Presse‘“, sagt Wolfgang Linhart, Chef vom Dienst des heutigen SONNTAG. Diese Zeitung war eigentlich als Informationsblatt für den niedrigen Klerus gedacht, nicht für die einfachen Gläubigen. Wolfgang Linhart: „Es steht im Endeffekt auch auf der ersten Ausgabe drauf: ‚Wiener Kirchenzeitung für Glauben, Wissen, Freiheit und Gesetz in der katholischen Kirche‘“.
Nach dem Ersten Weltkrieg hat die Kirchenzeitung wieder eine Auferstehung erlebt. Ihr Inhalt richtete sich nun an alle Gläubigen. Das „Wiener Kirchenblatt“ wurde in ganz Österreich vertrieben, denn erst 1945 entstanden die anderen österreichischen Kirchenzeitungen. „Wir hatten in der besten Zeit eine Auflage von über 200.000 Stück“, berichtet Linhart. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs ging es wieder bergab, das Papier wurde reglementiert, dann kam 1941 das komplette Aus für die Zeitung.
Erstmals nach dem Krieg erschien am 21. Oktober 1945 wieder das „Wiener Kirchenblatt“. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil kam es auch in der 1964 umbenannten „Wiener Kirchenzeitung“ zu einer Aufbruchsstimmung. Kardinal Franz König hat einmal so treffend gesagt: „Es ist wichtig, dass man die heißen Eisen anspricht, dass man darüber redet, dass man das Pro und Contra auch aufzählt. Aber am Schluss muss überbleiben, was gut katholisch ist.“ Wolfgang Linhart spricht aus langjähriger Erfahrung: „Die Menschen brauchen Orientierung, und es war auch immer das Ziel der Kirchenzeitung, in theologischen Fragen Orientierung zu bieten.“ Seit 2004 ist der neue Name „Der SONNTAG“ gleichzeitig „Programm“ und lenkt den Blick auf Gott und das Wohl des Menschen.
Noch heute erinnert an diesen Österreichbesuch von Papst Johannes Paul II. ein 40 Meter hohes Kreuz im Wiener Donaupark. Dass es nach 40 Jahren noch immer steht, ist auch dir zu verdanken. Denn das Kreuz rostete vor sich hin und hätte durch ein kleineres Kunstwerk ersetzt werden sollen. Erzähle uns bitte die Geschichte der Rettung!
Irgendwann stand in der Kronen Zeitung eine ganz kleine Notiz: „Das Papstkreuz wird jetzt abgerissen, weil es baufällig ist.“ Das hat mir keine Ruhe gelassen. Also habe ich in der Kirchenzeitung den Artikel „Rettet das Papstkreuz!“ geschrieben. Am Sonntag ist die Geschichte in der Zeitung gewesen, am Montag wäre der Bagger gekommen und hätte das Kreuz niedergerissen. Jetzt stand es aber in der Kirchenzeitung und die Kronen Zeitung hat sich dann wieder auf meine Geschichte draufgesetzt und hat beim Bürgermeister nachgefragt. Da unmittelbar danach die Wiener Gemeinderatswahlen anstanden, war es so, dass Bürgermeister Michael Häupl damals sagte: „Wir werden nie ein Kreuz abreißen.“ Tatsächlich haben sich die Gemeinde Wien und die Erzdiözese Wien die Kosten geteilt. Das Kreuz wurde renoviert und es steht heute noch da.
Du hast aber noch ein anderes Kreuz gerettet ...
Friedrich Funder, der Doyen der katholischen Publizistik, langjähriger Herausgeber der „Reichspost“ und Gründer der „Furche“, ließ von dem jungen Osttiroler Holzschnitzer Josef Troyer für das Gebäude des Herold-Verlagshauses in der Strozzigasse in Wien-Josefstadt einen fast überlebensgroßen Christuskorpus schnitzen. Er wollte, dass „jeder, der dieses Haus betritt, sieht, dass im christlichen Geiste hier gearbeitet wird.“ Das Kruzifix wurde im Eingangsbereich fast in Augenhöhe montiert, weil das Stiegenhaus relativ niedrig war. Man hat sozusagen Jesus fast die Hand geben können. Als der Herold-Verlag ins neue Druckhaus in die Faradaygasse nach Wien 3 übersiedelt ist, ging auch das „Funder-Kreuz“ mit und wurde dort bei der Eröffnung von Kardinal Hans Hermann Groër sogar noch feierlich gesegnet. Irgendwann ist es still und heimlich verschwunden, weil Teile dieses Hauses auch verkauft wurden an den AV-Verlag, der keinen christlichen Hintergrund hatte und mit dem riesigen Kreuz im Eingangsbereich nichts anfangen konnte. So ist es in eine Abstellkammer gewandert. Dort hat es einige Jahre zugebracht und irgendwann einmal hat mich mein Sohn darauf angesprochen, wo denn dieses Kreuz, das er als Kind von der Strozzigasse noch kannte, hingekommen sei. Ich bin der Sache nachgegangen und bin fündig geworden. Es hat jetzt einen würdigen Platz im Stiegenaufgang zum Medienhaus der Erzdiözese Wien in der Singerstraße 7 gefunden.
Es gibt da auch eine kleine Anekdote mit einem gewissen Dominikanerpater Christoph Schönborn.
Schönborn war noch Ordensmann im weißen Habit. Wir haben erfahren, um 10:00 Uhr würde der designierte Weihbischof in die Redaktion in der Spiegelgasse kommen. Wer nur einmal bei uns auf Besuch war, wusste, dass der Lift nur bis zum Halbstock ging. Dann musste man noch ein paar Stufen nach oben gehen. Die Glocke war auf der rechten Seite, die Tür ging aber links auf. Die Tür hatte gefühlte 100 Kilogramm, weil auf ihr mit Holzapplikationen der Stephansdom stilisiert wurde. Es läutete. Ich riss als junger, übermütiger Kerl die Tür auf, in der Annahme, Pater Christoph käme jetzt die Treppen rauf. Da war aber niemand. Dann hörte ich hinter der Tür ein leises Wimmern. Ich hatte mit dem Öffnen der Tür den künftigen Weihbischof quasi an die Wand gedrückt. Das hat mir sehr leidgetan und war mir geradezu peinlich. Der heutige Erzbischof und Kardinal hat es mir aber Gott sei Dank verziehen.
Was macht für dich einen guten Journalisten aus?
Du musst dir Zeit lassen. Du musst extrem neugierig sein und du musst wirklich mit jedem reden können und die Kommunikation pflegen. Also ob das jetzt – ich sage es übertrieben – ein Sandler, ein Direktor oder ein Politiker ist, du musst mit ihnen reden können. Das macht für mich Journalismus aus. Nicht ungeduldig zu sein, nicht ständig auf die Uhr zu schauen und sich die Zeit zu nehmen, neugierig zu sein, was das Gegenüber an spannenden Geschichten hat. Du musst ihm oder ihr diese sehr oft aus der Nase ziehen, weil den Leuten die Besonderheiten selber gar nicht bewusst sind. Du musst die entsprechenden Fragen stellen, dann kommen sie mitunter mit den kuriosesten Sachen.
In den letzten Jahren bist du Chef vom Dienst des SONNTAG gewesen. Wie können sich unsere Leserinnen und Leser diese Aufgabe vorstellen?
Ich habe diese Aufgabe immer mit dem Ersten Offizier auf einem Schiff verglichen. Der Kapitän sagt, wann es losgeht, in welche Richtung wir fahren, wo der Zielhafen ist, und dann geht er zum Captain’s Dinner. Der Erste Offizier befiehlt „halbe Fahrt voraus“, holt den Lotsen an Bord, lässt den Anker hochziehen, schaut, ob genug Treibstoff da ist. Der Chef vom Dienst einer Zeitung hat die technischen Dinge im Hinterkopf. Er kümmert sich um das Layout, die Positionierung von Inseraten, das Gestalten von Advertorials. Er muss sich darum kümmern, dass die richtigen Fotos und die richtigen Texte da sind, die Korrekturen eingearbeitet worden sind und dann alles perfekt und zeitgerecht an die Druckerei abgeliefert werden kann.
Welche Rolle spielt eine (Kirchen-)Zeitung in der heutigen Zeit?
Ich glaube, dass die Leserinnen und Leser das Recht haben, zu erwarten, dass ich für sie die Neuigkeiten dieser Woche entsprechend werte und zusammenstelle und die Themen mit größeren und kleineren Geschichten, Hintergrundinformationen, Statistiken usw. in die Zeitung bringe. Ich bin eigentlich immer noch ein großer Fan der haptischen, gedruckten Zeitung. Als Zwischenschritt kann ich mir das ePaper, das noch das Layout und die Struktur einer herkömmlichen Zeitung aufweist, als Appetizer für den Einstieg in die digitale Welt vorstellen. Im digitalen Raum habe ich natürlich mehr Möglichkeiten. Wenn ich von 25 tollen Geschichten in der Woche in der Zeitung nur sechs oder sieben unterbringe, kann ich einen Verweis zum zusätzlichen Inhalt auf der Website geben. Auf den Plattformen der sozialen Medien können wir die Menschen auf interessante Geschichten neugierig machen.
Wolfgang Linhart über ein Schmankerl im Vatikan
Am 29. Juni 1996 erhielt Erzbischof Christoph Schönborn von Papst Johannes Paul II. das Pallium, das Ehrenzeichen der Metropoliten. Wolfgang Linhart war als Redakteur der Wiener Kirchenzeitung dabei.