Ein Gleichnis für Toleranz

Was wir der Kirche verdanken
Ausgabe Nr. 42
  • Spiritualität
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Unkraut im Getreide: Vom Beispiel Jesu kann die Kirche bis heute lernen.
Unkraut im Getreide: Vom Beispiel Jesu kann die Kirche bis heute lernen. ©pixabay

Das jesuanische Gleichnis aus dem Matthäusevangelium prägte – trotz manch späterer Verdunkelung – von Anfang an die Idee der Toleranz in der Geschichte des Christentums.

Es lohnt sich, das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen aus dem Matthäusevangelium (Kapitel 13, Verse 24 bis 30) ganz zu lesen: „Jesus legte ihnen ein anderes Gleichnis vor: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun die Menschen schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging weg. Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein. Da gingen die Knechte zu dem Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut? Er antwortete: Das hat ein Feind getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen? Er entgegnete: Nein, damit ihr nicht zusammen mit dem Unkraut den Weizen ausreißt. Lasst beides wachsen bis zur Ernte und zur Zeit der Ernte werde ich den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune!“

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Gegen Gewalt und Todesstrafe

Zum einen lautet Jesu grundsätzliche neue Weisung, dass Gott straft und nicht der Mensch. Zum anderen verbietet das Gebot, das Unkraut bis zur Ernte wachsen zu lassen, jegliche körperliche Gewaltmaßnahmen und vor allem die Todesstrafe. Hinsichtlich des Unkrauts im Weizen lehrte die Kirche schon in den ersten Jahrhunderten, dass es Gott allein ist, der eine Entscheidung über einen Menschen trifft. Denn es könnte sein, dass einer dieser Bösen doch umkehrt und sein Leben ändert … Letztlich fordert das Unkraut-Weizen-Gleichnis von der Kirche absolute Gewaltlosigkeit. Augustinus konnte später so formulieren: „Liebt die Menschen, tötet die Irrtümer.“ Die Todesstrafe für Frevler lehnte er aber immer ab.

Wenn Toleranz fremd ist

Erst nach der Jahrtausendwende tauchte die Frevlertötung auf, 1022 erfolgte in Orléans die erste sicher bezeugte Ketzerverbrennung des Abendlandes. Doch gab es auch gewichtige Stimmen, die sich immer wieder gegen die Tötung der Ketzer aussprachen. Aber es kam zum Umbruch, die Ketzertötung wurde befürwortet, auch von Päpsten. Es waren leider Geistesgrößen wie Thomas von Aquin oder auch Martin Luther, denen in diesem Punkt Toleranz einfach fremd war. Erst die spätere Aufklärung sprach jedem Menschen eine bleibende Würde zu. Während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verweigerten die Päpste diese Religions- und Gewissensfreiheit, da sie aus einer Ecke kam, die religionsund kirchenkritisch und damit oft auch atheistisch war. Es waren letztlich aber Papst Johannes XXIII. und dann auch das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) mit dem Dekret über die Religionsfreiheit, die das jesuanische Gleichnis neu auf den Punkt brachten mit der These: Niemand ist daran zu hindern, sich einer religiösen Gemeinschaft anzuschließen oder sie zu verlassen. Auch der Wert des Gewissens wurde wiederentdeckt.

Eine echte Tragödie: Wir verdanken dem Neuen Testament eine grundsätzliche Entscheidung für die Religionsfreiheit, den Verzicht auf Religionsgewalt und die Missbilligung von Ketzertötungen. Dieses (geduldige) Wissen vom Unkraut im Weizen war dann aber jahrhundertelang wie verschüttet und „vergessen“.

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Autor:
  • Stefan Kronthaler
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