Durch die Dürre vor dem Nichts

Klimakrise in Kenia
Ausgabe Nr. 24
  • Soziales
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Ausgetrocknete Felder im Norden von Kenia
Eine Lebensform in Gefahr: Die Nomaden von Marsabit stehen vor dem Nichts. Wie sieht ihre Zukunft aus, wenn die Dürre den Tieren weiterhin das Futter nimmt? ©Marlene Groihofer
Kame Gnoche mit eine Kanister Wasser
Zehn Liter Trinkwasser kann Kame Gonche im Nomadendorf El Boru Magadho für ihre zehnköpfige Familie für einen Tag aus dem Brunnen schöpfen. ©Marlene Groihofer
Bild des Viehlaters Guyo Galgallo mit den restlichen Tierbeständen der Herden meherer Familien
Vor der Dürre hatte der Viehhalter Guyo Galgallo 400 Ziegen und 67 Kamele. Nur fünf Ziegen und vier Kamele haben überlebt. Die Herde im Hintergrund ist der übrige Tierbestand mehrerer Familien. ©Marlene Groihofer
Ein Tierschädel auf ausgetocknetem Boden
Eine Lebensform in Gefahr: Die Nomaden von Marsabit stehen vor dem Nichts. Wie sieht ihre Zukunft aus, wenn die Dürre den Tieren weiterhin das Futter nimmt? ©Caritas/Häckel-Schinkinger

Im Norden von Kenia sind tausende Viehherden verhungert. Den Menschen der Region fehlen dadurch Nahrung, Arbeit und Besitz – ihre gesamte Lebensgrundlage.

Kame Gonche ist mit ihrem weißen Plastikkanister auf dem Weg zum Brunnen. Wie jeden Tag ab den Morgenstunden. In der Hoffnung auf ein bisschen Trinkwasser. Kame Gonche lebt im County Marsabit im Norden von Kenia. Die Region ist aktuell von der schwersten Dürre seit Jahrzehnten betroffen. „Es ist sehr bitter“, sagt die 44-Jährige, die ihren Kopf mit einem schwarzen Tuch vor der Wüstensonne schützt. In diesem Frühjahr hat es erstmals wieder geregnet. Nach fünf Perioden ohne einen Tropfen. Und schon hat die nächste Trockenzeit begonnen.

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El Boru Magadho heißt das Dorf, in dem der Brunnen steht. Der holprige Weg hierher führt vorbei an Akazien, an Vulkangestein, an scheinbar endloser Weite – und immer wieder an Tierskeletten.

Rippen, Gebeine und Schädel liegen entlang der Straßen. „Wir haben fast alles verloren“, erzählt Kame Gonche, „fast unseren gesamten Tierbestand.“ Tausende Ziegen, Kühe, Schafe, Esel und Kamele sind in Marsabit seit Ende 2020 verhungert. Ihre Todesursache trägt einen Namen: Klimawandel.

„Wir haben fast alles verloren!“

Kame Gonche

„Für die Menschen hier steht an erster Stelle Gott und schon an zweiter das Kamel“, sagt Patrick Katelo, Geschäftsführer der NGO Pacida, einer Partnerorganisation der Caritas Österreich. „Ihr gesamter Besitz sind ihre Viehherden, das ist ihr Leben“, erklärt er. 80 Prozent in der Region leben von der Viehhaltung. Jetzt sind bis zu 95 Prozent ihrer Tiere tot. „Die Menschen sind traumatisiert. Sie tragen nichts zum Klimawandel bei und leiden am stärksten unter den Folgen.“

„Ich war im Westen. Und ich habe alles gesehen“

Kleine Hütten aus Ästen, Tüchern und Stroh bilden das Zentrum von El Boru Magadho. Hier lebt eine Viehhalter-Gemeinschaft des Stammes der Gabra, so lange, bis sie weiterzieht. Denn die Viehhalter von Marsabit sind als Nomaden immer dort, wo es Wasser gibt, dort, wo Futter für ihre Tiere wächst. Junge Männer in bunten Hemden sitzen im Baumschatten, Männer, die eigentlich draußen beim Vieh sein sollten und ohne Tiere nun arbeitslos die Zeit totschlagen. Auch die Frauen lauschen heute einem Vertreter ihrer Community, der viel zu sagen hat. Guyo Gonjoba Godana ist Viehhalter, Familienvater, Theologe und – er hat den Westen gesehen: „Ich war bei einem Freund in Toronto zu Besuch. Und schockiert“, erklärt er, „ich habe alles gesehen: Die Abgase der Industrie, die Ausstöße der großen Maschinen.“ Danach hat er angefangen, sich einzulesen. Heute schafft Guyo Gonjoba Godana Bewusstsein in seiner Gemeinschaft: „Der Klimawandel wird gerne als Naturphänomen bezeichnet“, sagt er mit seinem Hirtenstab in der Hand, „aber ich will ganz klar sein: We blame the western world! Wir machen die westliche Welt für die Klimakrise verantwortlich.“

Abgeschieden und doch vernetzt

Ein hölzerner Verschlag steht inmitten der Hütten von El Boru Magadho. Darin: ein TV-Gerät. Daneben: zwei Satellitenschüsseln und Solarpaneele. Hier kann man gegen Miete im Freien fernsehen. Sie habe das Gerät noch nie genutzt, sagt die Frau, die nebenan wohnt. Wie informiert sind die Nomaden von Marsabit tatsächlich über Ursache und Wirkung der Klimakrise? Immerhin tragen viele der Menschen Handys bei sich, können darüber auch Radio hören. „Den meisten ist nicht klar, was los ist. Sie leben sehr abgeschieden, im Glauben an die Gnade Gottes“, sagt Pacida-Geschäftsführer Patrick Katelo.

„Ich kann Gott keine Vorwürfe machen, ich kann niemandem Vorwürfe machen“, sagt etwa der 59-jährige Hirtennomade Guyo Galgallo, der zwischen North Horr und El Boru Magadho mit seinen Kamelen bei einer Wasserstelle steht. Eine Tasse Tee hat er an diesem Tag getrunken, Mahlzeit gab es keine. 67 Kamele hat er vor der letzten Dürre besessen. Heute sind vier davon übrig. Damit ging ihm nicht nur die Lebensgrundlage, sondern auch Prestige verloren. Will er seinem Sohn die Heirat ermöglichen, muss er das künftig auf Vertrauensbasis tun. Die Kamele für die Brautfamilie kann er derzeit nur versprechen. Der Mann in Hemd und rotem Hüfttuch lacht die Verzweiflung weg:

„Umbringen kann ich mich deshalb auch nicht. Das Leben geht weiter.“

Guyo Galgallo, Hirtennomade

Wie, das scheinen selbst die Wetter­experten der Region nicht genau zu wissen. Ob traditionelle Astrologen, die aus den Innereien von Tieren Vorhersagen treffen oder studierte Meteorologen – zuletzt haben sich alle laufend geirrt. Fest steht, dass die Dürren wohl nicht abnehmen werden. Dass den Menschen Geld für Nahrung und die Schulen ihrer Kinder fehlt. Dass die Malaria zurück ist, obwohl sie schon weg war. Dass Überflutungen zur Gefahr werden.

Nothilfe und die Suche nach Alternativen

Die kenianische Politik reagiert mit einem Klimawandel-Anpassungsplan, wünscht sich für die Zukunft andere, zusätzliche Einkommen für die Communities. Fischerei etwa, oder Handel. Die Caritas Österreich hilft gemeinsam mit ihrer Partner-NGO Pacida. Mit Wasserversorgung, Bargeldzuschüssen, indem in Bildung investiert wird und Frauen Business-Training erhalten. Oder indem Ziegen verteilt werden, wie an diesem Tag in einem Nomadendorf namens Demo. „Wir haben uns angesehen, wer sie in diesem Ort am dringendsten braucht“, sagt Patrick Katelo, während er in der Mittagshitze zwei Schafe und drei Ziegen bei den Hörnern packt und sie an Wato Shama überreicht. 100 Tiere hatte der 30-Jährige besessen, acht sind ihm geblieben. Mit den überlebenden und den geschenkten neuen Tieren wird der Viehhalter nun wieder losziehen. Dorthin, wo gerade Futter ist. 

Ein paar holprige Fahrstunden entfernt hat die 44-jährige Kame Gonche im Wüstendorf El Boru Magadho an diesem Tag Glück beim Brunnen. Ein bisschen Grundwasser ist nachgeronnen. Zehn Liter zieht sie für zehn Familienmitglieder an einer Plastikschnur nach oben. Dann trägt sie sie heim. Bevor sie am nächsten Morgen zurück sein wird. Wieder mit leerem Kanister.

Autor:
  • Marlene Groihofer
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