„Du fährst innerlich herunter“
Sommerserie 2023 Teil 2Los geht’s mit dem Auto über die neue Rheinbrücke. Man kann den Bodensee schon riechen. Sehen kann man ihn noch nicht. Die Sonne brennt. 30 Grad herrschen auf dem See. Zeigt zumindest das Thermometer auf dem Schiff. Unglaublich. Denn heiß ist es hier trotzdem nicht. „Der Wind ist stärker als die Sonne“, sagt Pfarrer Peter Haas, „deshalb spürst du Sonne und Hitze nicht so stark“. Hoch muss deshalb der Sonnenschutz sein. Denn ansonsten droht der Haut Sonnenbrand. Die Wind-App auf Peter Haas’ Handy hat heute früh vier Knoten Windgeschwindigkeit auf dem Bodensee vorhergesagt. Das sind knapp acht Kilometer pro Stunde. „Durchschnittlich, aber ausreichend“, kommentiert Peter Haas. Er hat heute noch viel vor.
Der Motor wird gestartet. Die ersten paar hundert Meter setzt er noch kein Segel. Die Fahrrinne ist zu schmal für eine Abhängigkeit vom Wind. Seine Jacht liegt in der Fußacher Bucht, im Hafen der gleichnamigen Stadt in Vorarlberg. Zwei Meter neunzig ist der Bodensee hier tief. Im Laufe dieses Tages wird es für Peter Haas noch an Stellen mit 40 Metern Tiefe gehen. Manchmal segelt er im Bodensee auch über 200 Metern Wassertiefe. Stets gut gelaunt. Und tiefenentspannt.
Grenzüberschreitend
Pfarrer Haas fährt mit seiner Segeljacht beinahe jede freie Minute auf den Bodensee. In den günstigen Jahreszeiten ist das ein- bis zweimal pro Woche. Manchmal hindert ihn das Wetter – bei Regen oder starkem Wind muss er an Land bleiben –, manchmal hindert ihn sein Terminkalender – der Feldkircher ist Pfarrmoderator in der Pfarre Heiliger Bartholomäus in Übersaxen. Dass er Landesgrenzen überschreiten muss, ist dabei Alltag – der österreichische Teil des Bodensees umfasst nur 28 Kilometer von insgesamt 273 Kilometern Uferlänge. Bei gewöhnlicher Windstärke treibt der Wind den 80-Jährigen von Fußach aus in wenigen Minuten nach Deutschland oder in die Schweiz. Peter Haas ist grenzüberschreitendes Denken ohnehin gewohnt – von seinem Wohnort Feldkirch aus ist man nach drei Kilometern schon im Fürstentum Liechtenstein.
Vom Hafen Fußach geht es für den sportlichen Pfarrer in die friedliche Zurückgezogenheit. Segeln ist für ihn „Freiheit, Verbundenheit mit der Natur, Ruhe. Du fährst innerlich herunter“, erzählt Peter Haas, der ursprünglich aus Sankt Johann im Pongau im Land Salzburg stammt und seit 1956 in Vorarlberg lebt. Auf dem Schiff findet der Bodensee-Salzburger diese große Ruhe. „Beim Segeln bist du völlig im Hier und Jetzt, lässt alles hinter dir, beschäftigst dich nur mit dem Schiff.“ Schon in den biblischen Psalmen galt das Wasser als besonderer Ort, als Ort der Sehnsucht. In Psalm 23, „Der gute Hirte“, heißt es im zweiten Vers, bezogen auf Gott: „Er führt mich zum Ruheplatz am Wasser.“ Diesen Vers zitiert Peter Haas lachend, wenn er auf die ihm verheißene Ruhe auf dem Wasser verweist. „Ich genieße das sehr“, schwärmt der Geistliche von seinem Refugium.
Den Sonnenuntergang genießen
Das Boot, mit dem Peter Haas auf dem Bodensee unterwegs ist, gehört ihm nicht alleine. Gemeinsam mit zwei Freunden hat er sich die 22 Jahre alte Segeljacht vom Typ „Bavaria 31“ gebraucht gekauft. Zehn Meter lang ist das Schiff, wiegt dreieinhalb Tonnen. Auch der Mast ist gut zehn Meter hoch. Wenn Peter Haas mehr die Ruhe als den Sport sucht, dann übernachtet er auch auf dem Boot. „Dann segle ich alleine raus und ankere irgendwo.“ Den Sonnenuntergang auf dem See zu genießen ist für den Pfarrer eine große Freude, „ein atemberaubendes Erlebnis“, erzählt er.
Auch eine Bodensee-Umrundung steht immer wieder einmal auf der Tagesordnung des 80-Jährigen. Dann ist er mit der Bavaria 31 etwa eine Woche unterwegs. So lange dauert auch jeweils sein alljährlicher Segelurlaub im Mittelmeer. Im Sommer oder im Herbst chartert er mit Freunden eine Jacht in der Adria. Dieses Jahr segelt er entlang der kroatischen Küste, seinem Lieblingsort im Mittelmeer.
Die Segel richtig setzen
1986 hat er seinen Segelschein für den Bodensee gemacht, seit 2001 hat er auch das so genannte „Küstenpatent“ fürs Mittelmeer. Einzig der Segelschein für die hohe See fehlt ihm. Angefangen hat seine Leidenschaft für das Segeln mit dem Windsurfen. Dann wurden die Schiffe, die Peter Haas steuerte, immer größer: von der kleinen Jolle bis zur großen Jacht.
Einfach sein Fähnchen in den Wind zu hängen, ist nicht die Haltung von Peter Haas. Vom Segeln hat er gelernt, dass Gegenwind nicht ausschließlich unangenehm ist, sondern für den eigenen Antrieb genutzt werden kann, manchmal sogar wichtig ist. „Beim Segeln kannst du den Gegenwind positiv nutzen, du kommst genauso voran. Du musst nur die Segel richtig setzen“, resümiert Peter Haas. In den Alltag übersetzt heißt das, man braucht zum Gegenwind bloß die richtige Einstellung. Diese Sichtweise hilft ihm auch bei seiner Arbeit, bekennt Pfarrer Haas.
Rückenwind für den Alltag
Die Pfarre Übersaxen bei Feldkirch liegt auf knapp 900 Metern Höhe. Hier ist Peter Haas für die Seelsorge zuständig, von Taufen über Krankenbesuche bis zu Trauergesprächen. Auch in seiner Kirche erzählt er gelegentlich von seinen Törns, „das lasse ich schon ab und zu in eine Predigt einfließen“. Das Segeln gibt ihm einfach Rückenwind für den Alltag. „Wenn ich einen Tag auf dem See verbracht habe, komme ich abends wieder zufriedener nach Hause.“
Auch heute ist es Abend geworden. Nach neun Stunden auf der Jacht kehrt Peter Haas in die Fußacher Bucht zurück. Um die Freiheit, die er auf dem Wasser genießt, ist er wirklich zu beneiden.
Frei werden: Von mir selbst frei werden
Mich selbst sein lassen, das bedeutet nicht nur, mich so anzunehmen, wie ich bin, mit all meinen Licht- und Schattenseiten. Es bedeutet umgekehrt auch, zu mir selbst in eine kritische Distanz treten zu können. Viktor Frankl sagte: „Ich muss mir nicht alles gefallen lassen, nicht einmal von mir selbst.“ Einerseits bin ich nicht immer liebevoll mit mir. Mein innerer Dialog kann grausam sein, wenn ich nicht aufpasse. Das muss ich mir von mir selbst nicht gefallen lassen. Andererseits ist nicht jede Eingebung, die ich habe, eine gute Idee! Nicht alles, was ich will oder zu brauchen glaube, muss ich auch wirklich haben. Nicht alles, was ich mir einbilde, tut mir auch gut. Anders gesagt: Nicht jeder Vogel ist der Heilige Geist! Die Unterscheidung der Geister gilt in der christlichen Spiritualität als hohe Kunst. Unterscheiden können, was mir guttut und mich weiterbringt, und alles andere sein lassen können, auch mich selbst – das macht frei.
Franziska Jeremia Madl ist Dominikanerin und Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision. Ihre Praxis führt sie aus rechtlichen Gründen unter ihrem zivilen Namen Alexandra Madl.
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