Die zwei Kronen des Königs
Krönung von Charles III.Auch wenn wir erwarten dürfen, dass die Krönungszeremonie der Zeit angepasst wird, werden wir doch Zeugen eines fast 1.000 Jahre alten Rituals sein. Diese Krönung ist nicht zuletzt deshalb einzigartig, weil der englische König der letzte der europäischen Monarchen ist, der sich dem Ritual unterzieht.
Bereits die Krönung von Königin Elisabeth II. im Jahr 1953 war ein Fernsehereignis ersten Ranges. Über sechs Stunden lang live übertragen, versammelte es die britische Nation und Millionen weltweit an den Fernsehern. Und als die Königin am 19. September 2022 zu Grabe getragen wurde, waren wieder Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt dabei. Auf ihrem Sarg lag über die tagelangen Feierlichkeiten hinweg die Imperial State Crown, die Staatskrone, sowie Reichsapfel und Zepter. Und es war die echte Imperial State Crown, keine Kopie, die da lag, nicht geschützt von Panzerglas, sondern von der Würde des Momentums und der Ausstrahlung der Zeremonie.
Tief in der Geschichte verwurzelt
Immer wieder wurden Krönungszeremonien verändert und der Zeit angepasst, aber ihre Wurzeln haben sie in der Tiefe der Geschichte. In groben Zügen ist das Ritual für kommenden Samstag in London bekannt, aber wir dürfen gespannt sein, wie König Charles III. die Zeremonie hat anpassen lassen.
Es war in der Tat Königin Elisabeth, die zu ihrer Krönung wieder den alten Brauch belebt hat, den ihr Vater und ihr Großvater nicht wahrgenommen haben: die Krönung mit der Edwardskrone, benannt nach König Edward dem Bekenner. Diese Krone wird ausschließlich zur Krönung verwandt, später kommt die Imperial State Crown zum Einsatz.
Die Krönungszeremonie spiegelt ein besonderes Staatsverständnis und Verständnis des Herrschers wider, das bei genauerer Betrachtung unserer modernen Welt nicht ganz so fremd ist. Hier zeigt sich, dass auch moderne Staaten tief in der Geschichte verwurzelt sind.
Ein Meister der Geschichtsschreibung, Ernst Kantorowitz (1895–1963), hat dies in seinem 1957 erschienenen Buch „Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters“ herausgearbeitet. Zum einen wird der sterbliche Mensch Charles von Windsor-Mountbatten die Westminster Abbey betreten. Im Zuge der Zeremonie wird eine andere Person darübergelegt, die des Königs. Nach Kantorowitz bedeutet dies einerseits das öffentliche Amt und andererseits die Person, die dieses ausfüllt. Symbolisch wird dies im Krönungsritual sichtbar.
Edwardskrone
Die heutige Edwardskrone nimmt Bezug auf die alte Krone von König Edward dem Bekenner. Seine Kroninsignien wurden als Reliquien des heiligen Königs angesehen. Im Zug des englischen Bürgerkriegs wurde der mittelalterliche Kronschatz zerstört. Mit der Rückkehr der Monarchie musste für König Charles II. eine neue Krone geschaffen werden, die sich in der Form an die alte Krone angleicht. Damals, im Jahr 1661, waren Staat und Königshaus aufgrund des Bürgerkriegs finanziell ziemlich klamm, so dass die Steine in der Krone geliehen werden mussten. Nach der Krönung wurden sie wieder herausgebrochen. Die Krone wurde später etliche Male umgearbeitet, nicht zuletzt, um dem jeweiligen Monarchen auf den Kopf zu passen. Sie ist mit 2,15 kg recht schwer, besteht aus Gold, Silber, Perlen und insgesamt 444 Saphiren, Smaragden, Rubinen und Diamanten.
Der bedeutendste Moment ist jener der Salbung
Vier Ritter des Hosenbandordens halten einen Baldachin über den König, während der Erzbischof von Canterbury mit dem bereits im März in Jerusalem geweihten Salbungsöl den Monarchen an Kopf, Brust und Händen salbt. Noch bei der Krönung von Elisabeth übertrugen die Fernsehkameras gerade diesen heiligen Moment nicht – auf Wunsch der Monarchin.
Indem der König nun neu gekleidet wird, mit einem einfachen weißen Gewand, mit der königlichen Robe und der Stola, tritt der menschliche Körper zurück und wird zum Körper des Königs, zum Staatskörper. Zug um Zug erhält er nun die einzelnen Kronjuwelen nach deren Segnung überreicht: einen Ring, der als eine Art Hochzeitsring zwischen König und dem Land gilt, die Armreifen, ebenfalls die Verbindung des Monarchen mit dem Volk symbolisierend, den Reichsapfel und die beiden Zepter.
Zum Abschluss setzt der Erzbischof dem König die Edwardskrone auf das Haupt, womit die Krönung vollendet ist. Anschließend werden die Insignien wieder zurückgelegt, die Gewänder wieder abgelegt. Es erfolgt die Krönung der Königin, die Treueeide – gegenüber dem König, nicht der Person – werden abgelegt. Der König wird in einer Samtrobe die Westminster Abbey verlassen, auf dem Kopf die Imperial State Crown und mit Zepter und Reichsapfel in der Hand.
Imperial State Crown
Neben der Edwardskrone, mit der ausschließlich gekrönt wird, hat der jeweilige Monarch noch eine Staatskrone, die dem allfälligen Gebrauch dient. Hatten sich in früheren Zeiten die Könige jeweils eigene Staatskronen anfertigen lassen, so ist dies heute nicht mehr üblich. Die Imperial State Crown wurde 1937 für König George VI. angefertigt. Sie ähnelt in der Form der Edwardskrone und ist über und über mit Juwelen besetzt, darunter 2.868 Diamanten, 273 Perlen, 17 Saphire, elf Smaragde und fünf Rubine. Im Kreuz auf der Spitze befindet sich ein Saphir, der aus einem Ring Edwards des Bekenners stammen soll. Auf der Vorderseite des Kronreifs befindet sich mit dem Cullinan II einer der größten geschliffenen Diamanten der Welt.
Das Ritual der Krönung verweist auf die Verantwortung des Königs vor Gott
Für den Monarchen selbst bedeutet diese Zeremonie die Verdeutlichung seiner Verantwortung und seiner Pflicht. Eingebettet in einen Gottesdienst, man spricht auch von der Krönung als Sakramentalie, verweist dieses Ritual auf seine Verantwortung vor Gott, vor dem er eines Tages zur Rechenschaft gezogen wird. Das Amt, das Königtum ist größer als er selbst, er hat diesem zu dienen und sich selbst zurückzunehmen.
Zentraler Ausdruck des Königtums sind dabei die Kronen. Der englische Kronschatz ist einer der wenigen in Europa, der noch in Gebrauch ist. Diese Meisterstücke an Juwelierkunst wurden nicht dazu gemacht, in einer Vitrine aus Panzerglas ausgestellt zu werden, sondern um im großen Orchester der königlichen Rituale eine bestimmte Rolle zu spielen. Ihre anhaltende Anziehungskraft beziehen sie gerade daraus – und aus der langen Kontinuität, die sie widerspiegeln. Die – tatsächliche oder vermeintliche – Altertümlichkeit königlicher Rituale ist seit jeher ein entscheidender Aspekt für ihre Wirksamkeit. Wer die Gelegenheit hat, im Tower die englischen Kronjuwelen zu besichtigen, wird an vielen der ausgestellten Stücke einen Hinweis finden: „In use“ – in Gebrauch. Und dieser Gebrauch ist einfach eine gelebte Praxis der letzten 1.000 Jahre.