Die Weiträumigkeit der Liebe
Wäre ich das entsprechende Komitee, hätte ich ja schon längst dem nun verstorbenen Joseph Ratzinger den Nobelpreis für Literatur verliehen. Was kristallklare Sprache betrifft, gibt es kaum wen, der dem Theologen, Bischof und Papst nahekommt. Ein Text, der es mir besonders angetan hat, ist sein Referat aus dem Jahr 1966 am Katholikentag in Bamberg über die Kirche nach dem Konzil.
Man findet dort alles, wofür er stand: die Leidenschaft dafür, das Wesentliche freizulegen. Und die Sorge darum, dass das Wesentliche bleibt und bestärkt wird. So mischt sich in die Verteidigung des Konzils die Warnung, das Kind nicht mit dem Bade auszugießen. Im Besonderen auch in der Liturgie, wo der damalige Theologieprofessor vor zu viel „Gestaltung“ mahnt: „Man hat leider nicht selten das Gefühl, daß die Aufmerksamkeit der Gestaltenden viel mehr der liturgischen Form zugewandt ist als demjenigen, dem sie gilt ... Ein Weniger an Bewusstheit wäre ein Mehr an Gottesdienst.“
Am Ende sagt er dann: „Es gibt ein Gesetz der Kontinuität, das nicht ungestraft übertreten wird.“ Und anhand der Liturgiereform spricht er von dem nötigen „hohen Maß an innerkirchlicher Toleranz, die den nüchternen Namen für die christliche Liebe in diesem Bereich darstellt.“ Und sein Fazit scheint mir zeitlos zu sein: „Dass es daran oft nicht wenig fehlt, ist wohl die eigentliche Krise der liturgischen Erneuerung bei uns. Das Einander-Ertragen, von dem Paulus spricht; die Weiträumigkeit der Liebe, von der bei Augustin die Rede ist – sie allein können den Raum schaffen, in dem christlicher Gottesdienst zu wahrer Erneuerung zu reifen vermag. Denn der eigentlichste Gottesdienst der Christen ist die Liebe.“