Die Hölle: voll oder leer?
Was nach dem Tod kommtWarum ist es um die sogenannten „letzten Dinge“ wie Himmel, Hölle oder Fegefeuer in jüngerer Zeit eher still geworden? Das wollte der SONNTAG von Hubert Philipp Weber wissen. Er schrieb jüngst das Buch „Leben nach dem Tod. Die christliche Hoffnung verstehen“.
„Die Verkündigung tut sich mit den letzten Dingen offensichtlich manchmal recht schwer. Obwohl gerade da besonders viele Fragen auftauchen“, sagt Weber im Gespräch mit dem SONNTAG: „Jedes Mal, wenn Menschen dem Tod begegnen, dem Tod von geliebten Menschen, dem Tod von Menschen, die tragisch ums Leben kommen, stellt sich immer auch die Frage nach dem eigenen Tod, nach der Begrenztheit des eigenen Lebens. Da ist es Kern-Aufgabe der Verkündigung, darauf Antworten zu geben.“ Allerdings, so Weber: „Diese Antworten müssen wir aber sehr vorsichtig geben. Jetzt in der Osterzeit sprechen wir von der Auferstehungs-Hoffnung. Diese in den Alltag zu übersetzen, heißt Hoffnung zu haben, aus der Hoffnung zu leben, ohne dass dieser Oster-Glaube eine Vertröstung wird, ohne dass man einen billigen Trost anbietet. Vielleicht haben deshalb viele Katechetinnen und Katecheten, Verkünderinnen und Verkünder, Theologinnen und Theologen Hemmungen, über die Eschatologie, über die letzten Dinge zu sprechen. Das scheint einer der Gründe zu sein.“ Andererseits sei der Tod überall präsent. „In Serien, auf Streaming-Plattformen, im Fernsehen, in Büchern. Da wäre es sehr wichtig, dass man auch christliche Antworten zur Verfügung stellt“, ist Weber überzeugt.
Warum ist der „Himmel“ eigentlich Leben in Fülle auf ewig?
WEBER: Wir sprechen, wenn wir von einer gelungenen Vollendung sprechen, meistens vom Himmel. Das Neue Testament verwendet auch noch viele andere Bilder, etwa Paradies, das kommt vom persischen Wort „Pardes“ und heißt Garten, also der Garten, in dem ich friedlich leben kann, im friedlichen Miteinander. Oder das himmlische Hochzeitsmahl, das heißt das große Fest. Der Himmel ist der bergende Raum, der uns Leben ermöglicht. Leben unter dem Himmel heißt leben im Schutz Gottes. Gemeint ist nicht der astronomische Himmel, den wir über uns sehen, sondern gemeint ist die unmittelbare Begegnung mit dem lebendigen Gott.
Warum ist die „Hölle“ die Möglichkeit des Scheiterns?
WEBER: In der Bibel gibt es mehrere Begriffe, die das ansprechen, was „Hölle“ meint. Einerseits spricht die Bibel oft vom „Hades“ oder von der „Scheol“, von der Unterwelt. Das ist der Aufenthaltsort der Toten. Erst in biblisch jüngerer Zeit ist vom Ort der Verdammnis die Rede. Das ist das „Gen hinnom“, das Tal des Hinnom, die Gehenna, von der Jesus spricht. Das Bild von der Hölle möchte in uns wachhalten, dass das, was wir tun, Konsequenzen hat. Dass es möglich ist, sich gegen Gott zu entscheiden. Denn Gott hat den Menschen die Freiheit gegeben. Und Freiheit hat nur dann einen Sinn, wenn sie ernst genommen wird. Was wäre das für eine Freiheit, wenn Gott sagt: Du kannst machen, was du möchtest, denn es ist am Ende egal, weil ich sowieso alle rette. Was wäre das für eine Freiheit? Was würde Gott dann ernst nehmen? Um des Ernstes der Freiheit willen ist die Lehre von der Hölle wichtig, von der Möglichkeit, sich auch endgültig gegen Gott zu stellen. Andererseits ist es nicht unsere Aufgabe, irgendjemanden in die Hölle zu wünschen und zu sagen, wir hätten gerne diesen oder jenen dort, Judas oder Nero oder Hitler oder Stalin. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir können diese Aufgabe ganz getrost Gott überlassen. Wir sollen und dürfen für alle hoffen, dass Gott sie erlöst. Dass Gott Versöhnung findet, die alle Menschen einschließt. Wir dürfen hoffen, dass die Hölle leer ist.
Was bestärkt Sie in der Hoffnung, dass die Hölle leer ist, auch angesichts so vieler blutrünstiger Diktatoren, die so viele Menschenleben auf dem Gewissen haben?
WEBER: Es ist alte Lehre der Kirche, dass jeder Mensch im Grunde gut geschaffen ist. Und daher ist es nicht einfach zu glauben, dass Gott es gerne sieht, wenn irgendeines der guten Geschöpfe endgültig verloren geht. Es fällt mir auf Basis des Evangeliums viel leichter zu glauben, dass Gott jedem und jeder nachgeht. Und jedem und jeder mit Liebe begegnet. Es kommt nicht darauf an, dass unterschiedslos alle gerettet werden. Es kommt darauf an, dass Versöhnung gelingt. Und diese Versöhnung ist die große Hoffnung, die wir haben, aber auch die große Aufgabe, die vor dem Gericht Gottes liegt.
Hubert Philipp Weber privat
Leben ist…
für mich ein wertvolles Geschenk Gottes, das ich jeden Tag dankbar annehme, sowohl was mein eigenes Leben angeht wie auch das meiner Mitmenschen und die übrigen lebendigen Geschöpfe um mich. Dazu gehört für mich selbstverständlich auch, das Leben zu schützen und zu bewahren.
Der Sonntag ist…
für mich der erste Tag der Woche. Der Gottesdienst gibt mir Kraft und Motivation für die Herausforderungen der restlichen Tage. Die Sonntagsruhe schenkt Erholung und öffnet den Raum für das Zusammensein mit der Familie und mit den Menschen, die mir wichtig sind.
Glaube ist…
für mich die persönliche Begegnung mit dem lebendigen Gott, der mich jeden Tag neu anspricht und meine Antwort erwartet; eine starke Ressource für mein Leben.
Warum ist das sogenannte „Fegefeuer“ die Vorbereitung für den Himmel?
WEBER: Die Lehre vom Fegefeuer, die in der Bibel nur sehr am Rande vorkommt, hat sich in der spätantiken und mittelalterlichen Theologie entwickelt. Vereinfacht gesagt: Wir wollen in der Vollendung auch selber vollendet sein, wollen, dass das, was uns daran hindert, mit Gott unbefangen in Begegnung zu kommen, dort keine Rolle mehr spielt. Und das möchte die Lehre vom Fegefeuer zeigen: Dass Gott den Raum der Vorbereitung gibt, das reinigt, was mich selbst daran hindert, Gott begegnen zu können. Die Lehre vom Fegefeuer ist ein Heils-Konzept, denn das Fegefeuer hat einen Eingang, den Tod, und einen Ausgang, die Vollendung, die Seligkeit.
Was darf man sich unter dem „Jüngsten Gericht“ vorstellen?
WEBER: Die Lehre vom Jüngsten Gericht ist das spannendste Stück aus der Eschatologie, der Lehre von den „letzten Dingen“, weil hier die Sehnsucht nach Versöhnung am stärksten zum Ausdruck kommt. So wie die ganze Eschatologie immer einen individuellen Aspekt betrachtet und einen allgemeinen, nämlich: Was ist mein eigenes Geschick und was ist das Geschick des Ganzen, so reden wir von einem individuellen Gericht und einem allgemeinen. Die beiden kommen aber nicht ohne einander aus. Das individuelle Gericht sagt mir etwas über mich selbst. Wie sieht es mit meinem Leben aus? Mit meinem Geschick? Was ist in meinem Leben gutgegangen und was nicht? Es ist gedacht als Begegnung, die mir Aufschluss und Klarheit über mein Leben gibt. Aber diese Klarheit hat nur Sinn, wenn sie auch in einen allgemeinen Prozess eingebracht werden kann, in einen Prozess, wo die, die Böses getan haben, die, denen Böses angetan wurde, um Vergebung bitten können. Und die, denen etwas angetan wurde, vergeben können. Wo eine Versöhnung gelingen kann, das ist das allgemeine Gericht und dieses allgemeine Gericht ist die Voraussetzung dafür, dass Vollendung gelingen kann, denn Vollendung hat nur einen Sinn, wenn wir miteinander vollendet werden, wenn die Gemeinschaft der Menschen neu konstituiert wird, wenn die Schöpfung erneuert wird. Das ist das Ziel, auf das alles hin geht. Aber das setzt eben Versöhnung voraus, und das ist im Prozess des Jüngsten Gerichts gemeint.
Was gehört zur sogenannten „Kunst des Sterbens“?
WEBER: Der Tod ist im Leben präsent. Wir begegnen ihm im Leben und jede Begegnung mit dem Tod macht mir bewusst, dass auch mein eigenes Leben auf den Tod zugeht. Lange Zeit haben gläubige und auch nicht so gläubige Menschen versucht, mit dem Tod schon im Leben ein gewisses Auskommen zu finden. Das wird mit dem Begriff der „Ars Moriendi“, der Kunst des Sterbens, angesprochen. Das heißt, sich einzuüben darin, dass mein Leben irgendwann zu Ende sein wird. Es geht nicht darum, dass man im Leben mit einem traurigen Gesicht herumläuft, weil es bald aus sein soll, sondern dass man sich aussöhnt mit der Gewissheit, dass das Leben begrenzt ist. Dass man sich fragt: Was ist das Schöne, was ich geschenkt bekommen habe? Dass man sich fragt: Was ist das, was ich eigentlich Gott bei der Begegnung sagen möchte, wofür ich dankbar sein möchte? Was ich fragen möchte, was noch fehlt. All das gehört in diese Lehre von der Kunst des Sterbens hinein.
Hubert Philipp Weber
Dr. Hubert Philipp Weber ist Lehrbeauftragter an der Universität Wien (Dogmatische Theologie), Mitarbeiter im Erzbischöflichen Sekretariat und theologischer Referent von Kardinal Christoph Schönborn, Referent in der theologischen Erwachsenenbildung sowie in der Ausbildung von Priestern, Diakonen, ReligionslehrerInnen und Ehrenamtlichen.