Maria von Magdala
Apostolin und PowerfrauMaria von Magdala kennen viele nur als schillernde Figur. Viel ist dieser Frau im Nachhinein angedichtet worden. Sie wurde von Papst Gregor I. mit der Sünderin im Lukasevangelium gleichgesetzt, man unterstellte ihr eine Liebesbeziehung zu Jesus und die männerdominierte Kirche des Mittelalters stempelte sie gar als ehemalige Prostituierte ab.
Entsprechend regte sie durch viele Jahrhunderte die Phantasie der bildenden Künstler an. Es gibt kaum ein Gemälde, auf dem sie nicht mit offenem Haar als büßende Sünderin dargestellt ist. – Dabei wissen wir aus der Bibel selbst nur wenig über die Frau aus Magdala, die sich der Nachfolgegemeinschaft um Jesu anschloss: Sieben Dämonen soll Jesus ihr ausgetrieben haben. Dann finden wir sie unter dem Kreuz, später am leeren Grab und natürlich hat sie ihren großen Auftritt als erste Zeugin des Auferstandenen.
Wie müssen wir uns die historische Maria aus Magdala und ihr Lebensumfeld vorstellen?
Andrea Taschl-Erber: Sie war wohl eine starke Frau. Von ihrer Herkunft aus Magdala auf ihre Vermögensverhältnisse zu schließen, lassen die Texte nicht zu. Man könnte spekulieren, ob sie sich als Frau aus urbanem Milieu von den Jüngern abgehoben hat, die in ländlichem Umfeld gelebt haben und Fischer waren. Offenbar schloss sie sich allein der Bewegung um Jesus an, ein Schritt, der Frauen zur Zeit Jesu nicht ohne Weiteres möglich war. Aus heutiger Sicht würde man sie wohl als „emanzipierte“ Gesprächspartnerin bezeichnen. Eine Frau, die sich von der Jesus-Bewegung etwas erhofft hat, Jesu Botschaft der Auferstehung mit anderen Frauen mutig weitergetragen hat, während die Männer aus Angst vor der Kreuzigung geflohen sind.
Expertin Andrea Taschl-Erber
… ist Vizerektorin für Religiöse Bildung und Interreligiösen Dialog an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems
Was ist für Sie als Theologin das Faszinierende an Maria Magdalena?
Dass diese Frauenfigur, die in der schönen Ostermorgengeschichte – im Johannesevangelium alleine, in den anderen Evangelien in einer Frauengruppe verortet – als Erste den Auftrag erhält, vom Auferstandenen zu erzählen. Sie wird von ihm gesendet – das bedeutet, eine Apostelin zu sein. Im Mittelalter erhielt sie den festen Ehrentitel „Apostelin der Apostel“. Die Evangelientexte zeigen uns, dass Frauen in dieser Anfangszeit der entstehenden Gemeinden eine wichtige Rolle spielten. Außer Maria, der Mutter Jesu, ist Maria von Magdala die Einzige, die in allen vier Evangelien genannt wird. Das heißt, sie dürfte eine bedeutende Frau im Umfeld Jesu gewesen sein, eine wichtige Nachfolgerin und Jüngerin. Nach der Passion, nach der Krise des Karfreitags, wo alles verloren schien, geht die Jesus-Bewegung mit ihrer Verkündigung weiter.
Weiß man, ob sie alleinstehend war?
Auffällig ist, dass sie nicht als die Ehefrau des …, die Tochter des …, die Schwester des … oder die Mutter des …, genannt wird, wie wir es bei vielen anderen Frauen im Neuen Testament ganz typisch haben. Aber wir wissen nichts über ihren Familienstand. Es ist eine auffällige Lücke und könnte bedeuten, dass sie sich von ihrer Familie getrennt hat, um sich Jesus anzuschließen. Das muss aber nicht bedeuten, dass sie alleinstehend gewesen wäre. Wir wissen nicht einmal, wie alt sie damals gewesen ist. Man hat aufgrund der Kunstgeschichte immer diese junge schöne Frau vor Augen, aber sie könnte auch eine Generation älter als Jesus gewesen sein.
Wie erfahren wir mehr über sie, wenn die Bibel so wenig Anhaltspunkte bietet?
Ergänzende Hinweise über ihre Bedeutung im frühen Christentum liefern so genannte „Apokryphen“, das sind Schriften, die nicht in den biblischen Kanon aufgenommen wurden. Wichtige Texte mit großer Aussagekraft sind unter anderem gnostische Schriften wie das Maria Magdalena-Evangelium und das Evangelium des Philippus, die so genannte „Pistis Sophia“. Viele Schriften wurden erst erst ab Ende des 19. Jahrhunderts in Ägypten entdeckt und im Laufe des 20. Jahrhunderts editiert und übersetzt. In etlichen der darin enthaltenen Dialoge zwischen Maria Magdalena, Jesus und den anderen Jüngerinnen und Jüngern zeigt sich ihre Bedeutung als Gesprächspartnerin Jesu. Laut diesen Texten hat Maria von Magdala eine völlig andere Rolle inne, als das kirchlich tradierte Bild ihr zuschreibt. Mit diesen Schriften und ihrer wissenschaftlichen Aufarbeitung eröffneten sich auch neue Möglichkeiten, um sich mit der Figur Maria Magdalenas eingehender zu befassen und sie eventuell in einem anderen Licht zu sehen.
So spielt Maria von Magdala in apokryphen Schriften eine zentrale Rolle im Kreis der Jüngerinnen und Jünger. Sie wird als interessierte Zuhörerin und Gesprächspartnerin beschrieben, die sich auch provokante Fragen zu stellen traut. Im Evangelium nach Maria Magdalena ermuntert sie beispielsweise die anderen dazu, die Lehre Jesu hinauszutragen. Wiederholt führt sie Diskussionen mit Petrus, der ihre Redezeit und ihre Rolle als Lehrerin einschränken möchte.
Maria von Magdala
In der Literatur:
- Hebbel: „Maria Magdalena“(1844)
- Rinser: „Mirjam“ (1983)
In der Malerei:
- Albani-Psalter: Maria von Magdala verkündet den Jüngern (vor 1145)
- Tizian: Noli me tangere (1512)
- El Greco: Büßende M. Magdalena (1577)
In der Musik:
- William Lloyd Webber: Missa Sanctae Mariae Magdalenae (um 1960)
- Andrew Lloyd Webber: Jesus Christ Superstar (1971)
Im Film:
- Davis: „Maria Magdalena“ (2018)
Warum wurde sie zur Sünderin?
Das ist das Ergebnis einer über die Jahrhunderte gewachsenen Auslegungsgeschichte. Durch die Verschmelzung verschiedener biblischer Frauenfiguren ist ein Bild von ihr konstruiert worden, das nicht ganz zufällig bestimmten Interessen diente. Die grundsätzliche Frage lautete: Wenn gilt, dass Frauen schweigen sollen, wie es in Briefen des Paulus und seiner Schüler steht, warum sind Frauen die Ersten gewesen, denen Jesus einen Verkündigungsauftrag gab? Das ist ein fundamentaler Widerspruch, der sich aus den neutestamentlichen Texten selber ergibt. Es wurde in der Folge der Sündenfall ins Spiel gebracht – Eva als die Sünderin schlechthin und generell Frauen als Sünderinnen. Dieses Muster ist dann auf die Frauen am Ostermorgen übertragen worden: Weil „die Frau“ etwas wiedergutzumachen hätte, erschien ihr Jesus als Erster.
Gibt es einen Ausweg?
Ein historisch fundierter Rehabilitationsversuch geht von der feministischen Theologie aus. Denn als Apostelin wurde Maria bereits im 3. und 4. Jahrhundert von Kirchenvätern wie Hippolyt und Hieronymus bedacht, ehe die Nachwelt ihren Ruf erheblich schmälerte. Mit ihr könnte die über fast zwei Jahrtausende verdrängte weibliche Seite des Christentums wieder zu einer partnerschaftlichen Kirche erweckt werden.
Maria von Magdala in der Heiligen Schrift
Jüngerin Jesu
„Und es geschah in der folgenden Zeit:
Er wanderte von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und verkündete das Evangelium vom Reich Gottes. Die Zwölf begleiteten ihn und auch einige Frauen, die von bösen Geistern und von Krankheiten geheilt worden waren: Maria, genannt Magdalena, aus der sieben Dämonen ausgefahren waren […]“ - Lukas 8,1-2
Zeugin der Kreuzigung und Grablege
„Auch einige Frauen sahen von Weitem zu, darunter Maria aus Magdala, Maria, die Mutter von Jakobus dem Kleinen und Joses, sowie Salome; sie waren Jesus schon in Galiläa nachgefolgt und hatten ihm gedient. Noch viele andere Frauen waren dabei, die mit ihm nach Jerusalem hinaufgezogen waren.“ - Markus 15,40-41
„Josef nahm den Leib und wickelte ihn in ein reines Leinentuch und legte ihn in sein eigenes neues Grab, das er in einen Felsen hatte hauen lassen, und wälzte einen großen Stein vor die Tür des Grabes und ging davon.
Es waren aber dort Maria von Magdala und die andere Maria; die saßen dem Grab gegenüber.“ - Matthäus 27,59-61
Erste Zeugin des Auferstandenen
„Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Während sie weinte, beugte sie sich in die Grabkammer hinein. Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen dort, wo der Kopf, den anderen dort, wo die Füße des Leichnams Jesu gelegen hatten.“ - Johannes 20, 11-12
Auftrag zur Verkündigung
„...sie wandte sich um und sah Jesus dastehen, wusste aber nicht, dass es Jesus war. Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie meinte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast! Dann will ich ihn holen. Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und sagte auf Hebräisch zu ihm: Rabbuni!, das heißt: Meister.
Jesus sagte zu ihr: Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. Maria von Magdala kam zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte. - Johannes 20, 14b-18
Maria von Magdala nach Ostern
„Sie alle verharrten dort [in Jerusalem] einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern. - Apostelgeschichte 1,14