Der langsame Aufstieg vom Bischof zum Erzbischof
300 Jahre Erzbistum WienUnter dem Titel „Der lange Weg zum Erzbistum Wien – Der Erhebungsakt 1723 und seine Folgen“ hat das Diözesanarchiv der Erzdiözese Wien in Kooperation mit dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung an der Universität Wien und dem Verein für Geschichte der Stadt Wien am 19. und 20. Jänner eine große Tagung in Wien organisiert. Auch die Stadt Wien und die Online-Plattform „Wien Geschichte Wiki“ waren in die Planung eingebunden.
Welche Anstrengungen zu einer Errichtung einer eigenen Diözese gab es zuvor?
JOHANNA KÖSSLER: Es war ein langer Weg zur Gründung des Bistums Wien. Schon früh gab es Bemühungen, ein Bistum einzurichten, ganz am Anfang sogar durch Passau selbst: Mit dem Tauschvertrag von Mautern von 1137 übertrug Leopold IV. das Gebiet des heutigen Stephansplatzes samt Pfarrechten dem Bistum Passau. Hier wurde im Jahr 1147 eine dem Hl. Stephanus geweihte Passauer Pfarrkirche errichtet, die angeblich bereits als Suffraganbistum geplant gewesen sein soll. Passau wollte als Suffraganbistum von Salzburg unabhängig werden und hoffte auf einen entsprechenden Gewinn an Einfluss. Daraus wurde aber nichts.
Die Babenberger mischten sich dann zunehmend in die kirchlichen Agenden ein, etwa durch die Gründung einer Bürgerschule, und strebten ebenfalls nach Unabhängigkeit. Unter Friedrich II. dem Streitbaren gab es immerhin schon einen Briefwechsel mit dem Papst, in dem Wien die Gründung einer eigenständigen Diözese zugesagt worden war. Durch den frühen Tod des Babenbergers in der Schlacht an der Leitha wurden diese Pläne jedoch vereitelt.
Sichtbares Zeichen der Bistumspläne war der gotische Ausbau der Stephanskirche. Rudolf IV. selbst legte den Grundstein für den Südturm. Zusätzlich schuf er den Rahmen für die Bistumserhebung mit der Gründung der Wiener Universität. Am wichtigsten aber war die Gründung eines von Passau exemten Kollegiatkapitels mit einem beinahe bischofsgleichen und unabhängigen Probst an der Spitze. Tragischerweise verhinderte der frühe Tod Rudolfs die Bistumsgründung. Erst Kaiser Friedrich III. erreichte beim Papst die Gründung des Bistums Wien.
Wie gelang es Kaiser Friedrich III., dass Wien und Wiener Neustadt 1469 zu Bistümern erhoben wurden?
Der manchmal salopp als „Erzschlafmütze“ bezeichnete Kaiser Friedrich III. baute im Wesentlichen auf der Vorarbeit seines Großonkels Rudolf IV. auf. Papst Paul II. gewährte Friedrich im Jahr 1469 die Erhebung von Wien und Wiener Neustadt zu Bistümern und händigte ihm zwei Gründungsurkunden aus, in denen die rechtliche Situation dargelegt und die neuen Diözesangebiete fixiert wurden. Wiener Neustadt, das sich noch im Salzburger Diözesangebiet befand, wurde einfach gegen alle Proteste selbstständig. Passau erhob klarerweise ebenfalls Einspruch und akzeptierte die Entscheidung des Papstes lange nicht. Der Streit dauerte bis 1480, erst dann konnte die Bistumsgründung im Wiener Stephansdom gefeiert werden. Hier kam Friedrichs Talent des Aussitzens zur Geltung: Es kam ihm nämlich der frühzeitige Tod des Passauer Bischofs Ulrich von Nußdorf gelegen. Unter Vermittlung Friedrichs III. wurde dessen eigener Kanzler Georg Hasler neuer Bischof in Passau, der dann die Bistumserhebung bereitwillig gestattete.
Wie groß war damals das Bistum?
Das neu gegründete Bistum war kein reines Stadtbistum mehr, sondern verwaltete auch Pfarren in den Vorstädten und Vororten. Innerhalb der Stadt unterstanden der Diözese die Pfarren St. Stephan, St. Michael und die Schottenkirche. Außerhalb der Stadt lagen die 17 Landpfarren, etwa Ottakring, Hernals, Währing, Mödling oder Gumpendorf, die aus dem alten Passauer Pfarrgebiet hervorgingen.
Der größte Teil des heutigen Niederösterreichs aber unterstand dem Bistum Passau. Wien war tatsächlich eine Enklave, ein Zwergbistum, inmitten eines der größten Territorialbistümer im Heiligen Römischen Reich. Rund sechs Siebtel des Passauer Territoriums lagen auf österreichischem Boden in Ober- und Niederösterreich. Nur südlich von Wiener Neustadt gab es ein größeres Gebiet, die sogenannte Pittener Mark, welche zum Erzbistum Salzburg gehörte.
Spielten die schlecht dotierten Pfründen eine Rolle, dass das Bistum Wien zunächst nur von Administratoren geleitet wurde?
Viel Anreiz gab es unter der Herrschaft Friedrichs III. nicht, als Bischof die Leitung einer Kleindiözese zu übernehmen. Da waren nicht nur die schwierige Finanzlage und die Armut des kleinen Bistums, sondern generell die großen Konflikte der Zeit: Friedrich III. überwarf sich mit seinem Bruder Albrecht VI., es kam zum Ständekrieg. Sein Bruder Albrecht belagerte Friedrich samt seiner Familie in der Wiener Hofburg, ein traumatisierendes Erlebnis. Und dann eroberte Matthias Corvinus Wien. Innen- und außenpolitisch war das also eine höchst unsichere Zeit. Die Osmanen drohten und Wien lag für die kommenden zwei Jahrhunderte in einem Grenzgebiet Richtung Osten.
Aufgrund dieser Unattraktivität wurde das Bistum Wien anfangs durch Administratoren mitverwaltet, die zugleich Bischöfe aus den Nachbardiözesen waren. Der erste echte Residenzbischof war ab 1513 Georg von Slatkonia, dessen Amtszeit bereits in die Reformationszeit fiel.
Welchen kirchenrechtlichen Status hatte das Bistum Wien vor 1721?
Der erste Fürstbischof wurde der von Ferdinand II. eingesetzte Anton Wolfrath (reg. 1631–1639). Bis dahin blieb Wien ein Lokalbistum. Mit dem Fürstentitel erhielt Wien Sitz und Mitspracherecht an den Reichstagen. Interessant ist in jedem Fall, dass das Domkapitel von St. Stephan bis zur Erhebung zum Erzbistum 1722 eigenständig und nicht selten in Opposition zum Bischof agierte. Erst auf Weisung Karls VI. verfügte der Papst die Unterstellung des Kapitels unter den Wiener Bischof. Erst die Bistumserhebung brachte eine eigentliche Steigerung des rechtlichen und territorialen Status.
Was sprach für die Erhebung zum Erzbistum?
Mit dem Sieg über die Osmanen um 1700 entwickelte sich Wien zur barocken Haupt- und Residenzstadt des Habsburgerreiches. Dies war die Zeit des klassischen Barockabsolutismus. Die Klöster wurden zu Klosterresidenzen ausgebaut und somit zum architektonischen Symbol der katholischen Konfession. Das kleine Bistum Wien war in Rang und Größe der politischen Macht des Hauses Österreichs nicht mehr angemessen. Karl VI. urgierte beim Papst bereits 1717 eine Rangerhöhung des Bistums und argumentierte unter anderem mit der Rolle Wiens als Festung gegen die Osmanen. Ein besonders wichtiges Kriterium war zudem die Größe, die Wien bereits erreicht hatte: Um 1720 lebten schon rund 120.000 Menschen in Wien und seinen Vororten. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts stieg die Bevölkerungszahl auf 175.000 an.
Inwieweit war der Kaiser bei den Bestrebungen zur Errichtung des Erzbistums beteiligt?
Der Kaiser hatte sich schon zuvor direkt beim Papst für die kirchliche Aufwertung Wiens eingesetzt. Ende des Jahres 1719 hatte Karl VI. durch eine Gesandtschaft sein offizielles Gesuch zur Erhebung Wiens zum Erzbistum in Rom eingereicht. Er argumentierte dahingehend, dass die meisten Hauptstädte auch Metropolien wären und so auch Wien diesen Ehrenrang verdienen würde. Im Besonderen verwies Karl VI. auf seine Leistungen im militärischen Vorgehen gegen die Osmanen und verknüpfte dies mit dem Argument der Sicherung der christlichen Religion in seinem Herrschaftsbereich.
Welche Einwände kamen von Passau und Salzburg gegen die Erhöhung zum Erzbistum? Wie konnte sich Kaiser Karl VI. trotzdem durchsetzen?
Der Passauer Bischof Raymund Ferdinand von Rabatta empfand die Gebietseinbußen für sein Bistum zwar als herben Verlust, konnte sich aber schließlich doch damit abfinden. Schon im Vorfeld hatte er seine Vertreter in Rom gegen die päpstliche Zustimmung zu einem Wiener Erzbistum lobbyieren lassen.
Mit dem Ziel, die Dismembration, also die endgültige Abtrennung Wiens von der Diözese Passau, zu verhindern, begab sich der Passauer Bischof im September 1721 persönlich nach Wien und suchte bei Kaiser Karl VI. Unterstützung. Trotz einiger Argumentationsversuche seitens der Kritiker aus Passau stimmte aber auch Kaiser Karl VI. dem Ausbau Wiens zum Erzbistum zu. Diese kirchliche Aufwertung Wiens passte gut zu seiner Politik, Wien zum Zentrum der kaiserlichen Verwaltung zu machen. Eine Erhebung Wiens zum Erzbistum kam dem Landesherrn insgesamt also sehr entgegen.
Der Salzburger Fürsterzbischof Franz Anton von Harrach intervenierte gegen die Erhebung Wiens zum Erzbistum ebenfalls direkt beim Papst, konnte jedoch nur ein zeitliches Hinausschieben der Erzbistumserhebung erwirken. Nach der päpstlichen Zustimmung zur Aufwertung Wiens zu Beginn des Jahres 1721 suchte der Salzburger Fürsterzbischof die Kooperation mit dem Passauer Bischof. Beide Kirchenmänner einigten sich jedoch schließlich darauf, dass der Errichtung des Erzbistums Wien stattgegeben werden musste und dass dieses jedenfalls keine weiteren Gebietsvergrößerungen erlangen sollte.
Warum dauerte es fast zwei Jahre, nach der römischen Zustimmung 1721, bis die Bulle 1723 in Wien einlangte?
Die Erhebung eines Bistums zu einem Erzbistum ist nicht als ein einzelner Formalakt, sondern als kontinuierlicher Prozess zu verstehen. Die Bemühungen von weltlicher Seite, ein Erzbistum in Wien zu errichten, reichen noch ein paar Jahre weiter zurück. Eine diesbezügliche Eingabe Kaiser Karls VI. stammt schon aus dem Jahr 1719. Auf Intervention des Kaisers und nach längeren Verhandlungen mit den Diözesen Salzburg und Passau wurde von Papst Innozenz XIII. Wien schließlich durch die Bulle „Suprema dispositione“ zum Erzbistum erhoben, und zwar mit Wirkung 1. Juni 1722. Da im Zusammenhang mit der Erzbistumserhebung Wiens aber auch die Frage des Suffraganbistums Wiener Neustadt verbunden war, musste auch diese Thematik eigens behandelt werden.
Was den administrativen Ablauf rund um die Erstellung und Ausfertigung der päpstlichen Urkunde betrifft, so mussten für die Auslösung und für den Versand der Urkunde Taxen nach Rom abgegeben werden. Auch dies nahm einige Zeit in Anspruch. Hinzu kam auch, dass Sigismund Kollonitz seine eigentliche Amtswürde als erster Erzbischof von Wien erst mit der zeremoniellen Überreichung des Palliums erlangte, das ebenfalls erst 1723 aus Rom eintraf. Die Erzbistumsernennung umfasste also ein ganzes Bündel an Maßnahmen, welche die Akteure in einzelnen Schritten ausverhandeln und durchführen mussten.
Wie groß war damals das Erzbistum Wien und welche Rolle spielten die Diözese Wiener Neustadt sowie Fünfkirchen?
Das Erzbistum Wien erhielt 1722 das Bistum Wiener Neustadt als Suffraganbistum unterstellt und wurde so um dieses Territorium erweitert. Einige Jahre später wurde es durch die Zuteilung von passauischen Pfarren und Vikariaten im Viertel Unter dem Wienerwald erneut vergrößert. Eine abermalige Änderung erfolgte im Zuge der durch Kaiser Joseph II. in den Jahren von 1782 bis 1786 durchgeführten Diözesanregulierung. Im Zuge dieser administrativen Änderungen wurden die in Ober- und Niederösterreich liegenden Diözesangebiete des Bistums Passau 1784 an Wien abgetreten. Das Erzbistum Wien erreichte somit etwa seine heutige Ausdehnung. Die fünf Pfarren im Pittener Gebiet (Fünfkirchen) gelangten auf päpstliche Anordnung ebenfalls zu Wien. Oberstes Ziel der Diözesanregulierung war es, die kirchlichen Grenzen an die staatlichen anzupassen und die Mitsprache anderer Bischöfe gering zu halten.
Wie konnte das Territorium erweitert werden?
Zunächst trat Salzburg seine niederösterreichischen Pfarren an Wiener Neustadt ab. Durch kaiserlichen Beschluss sollte das Bistum Wiener Neustadt jedoch nach St. Pölten verlegt und um die Viertel Ober dem Manhartsberg und Ober dem Wienerwald erweitert werden. Das Bistum Wiener Neustadt wurde jedoch aufgehoben und in St. Pölten ein neues Bistum installiert. Die östliche Hälfte Niederösterreichs wurde dem Erzbistum Wien zugesprochen ebenso wie fünf am Leithagebirge gelegene Pfarren (Fünfkirchen) und Raab, das heute ungarische Győr.
Um das mit 1784 sehr groß gewordene Gebiet verwalten zu können, wurde 1785 die Diözese Linz errichtet und die Diözese Wiener Neustadt aufgelöst beziehungsweise nach St. Pölten verlegt. Sowohl Linz als auch St. Pölten wurden als Suffraganbistümer dem Erzbischof von Wien unterstellt.
Weitere Gebietsveränderungen fanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts statt und fanden mit der Gründung des Suffraganbistums Eisenstadt im Jahr 1922 sowie der Abtretung zweier Pfarren im Zuge der Errichtung neuer Staatsgrenzen im Jahr 1925 seinen Abschluss.