Der Kardinal als Krisenmanager

Hinsehen statt wegschauen
Ausgabe Nr. 3
  • Chronik
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„Wiener Erklärung“
Kardinal Christoph Schönborn, Oberrabbiner Jaron Engelmayer und der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Ümit Vural, haben am 9. Jänner in Wien in einer gemeinsamen Erklärung die Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften für den Frieden und ein gutes Miteinander in der Gesellschaft betont. ©Stephan Schönlaub

Seit der Ernennung zum Erzbischof von Wien im Jahr 1995 war Christoph Schönborn auch als Krisenmanager gefragt. Die katholische Kirche in Österreich stand jahrelang im Dauerfeuer der Kritik. Der offene und ehrliche Umgang mit den Krisen – „Hinsehen statt wegschauen“– prägten diese Zeit.

Die Kirche in Österreich durchlebt seit 25 Jahren eine Zeit der Dauerkrise“, sagte Kardinal Christoph Schönborn in einem Interview für das Buch „Vom Wendepunkt der Hoffnung“ über den „Prozess APG 2010“ in der Erzdiözese Wien, das im Jahr 2010 im Wiener Dom-Verlag erschienen ist. In diesem Gespräch erinnerte der Erzbischof an den Exodus vieler Katholikinnen und Katholiken in den vergangenen Jahren. Und er lud vor allem dazu ein, auch darüber mehr zu reden, warum trotzdem viele Menschen in der Kirche geblieben sind und bis heute bleiben.

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Viel Arbeit für den Krisenmanager

Im Jahr 1995 führten Missbrauchsvorwürfe gegen den Wiener Erzbischof und Kardinal Hans Hermann Groër letztlich zu dessen Rücktritt. Die Vorwürfe gegen den 2003 Verstorbenen konnten nie – bedingt auch durch sein Schweigen dazu – restlos aufgeklärt werden. Im Juni 1995 wurde das „Kirchenvolksbegehren“ in Österreich durchgeführt, angeregt von Katholikinnen und Katholiken aus Tirol – mit 505.154 Unterschriften. Eine der ersten Maßnahmen von Erzbischof Christoph Schönborn war dann die Errichtung einer kirchlichen Ombudsstelle für von Missbrauch Betroffene in der Erzdiözese Wien. 1998 erklärten Schönborn und drei weitere Bischöfe, Johann Weber (Graz-Seckau), Georg Eder (Erzdiözese Salzburg) und Egon Kapellari (Gurk-Klagenfurt), mit „moralischer Gewissheit“, dass die Vorwürfe gegen Groër „im Wesentlichen zutreffen“.

Schuldbekenntnis beim Bußgottesdienst

2010 folgte eine große Enthüllungswelle, die der Jesuit Klaus Mertes in Deutschland in Gang setzte und die bald auch Österreich erfasste. Daher beschloss die österreichische Kirchenführung ein umfassendes Maßnahmenpaket. Es gilt im Großen und Ganzen bis heute, wird laufend evaluiert beziehungsweise angepasst und hat die heimische Kirche nach einer sehr schmerzlichen Phase bis jetzt gut durch die Krise gebracht. Als erste Maßnahme zum Schutz der Opfer wurden 2010 kirchliche Ombudsstellen in allen Diözesen nach einem einheitlichen Muster eingerichtet. Bei einem Bußgottesdienst im Stephansdom in der Karwoche wurde ein vielbeachtetes Schuldbekenntnis abgelegt. Die Bischofskonferenz beschloss im März 2010, dass die bisherigen unterschiedlichen diözesanen Regeln landesweit vereinheitlicht werden sollen; auch die Ordensgemeinschaften wurden einbezogen. 

Der Krisenmanager und die „Klasnic“-Kommission

Auch das Ausmaß der Meldungen von Betroffenen übertraf alle Befürchtungen. Deshalb bat Kardinal Christoph Schönborn als Vorsitzender der Bischofskonferenz im April 2010 die frühere Landeshauptfrau Waltraud Klasnic, eine unabhängige Opferschutzanwaltschaft einzurichten. In den ersten drei Monaten dieser „Klasnic-Kommission“ (offiziell: UOK) gingen fast 1.000 Meldungen ein. Ziel der kirchlichen Maßnahmen in Österreich ist, erlittenes Unrecht so weit wie möglich anzuerkennen und Konsequenzen für die Täter festzulegen sowie den Betroffenen finanziell zu helfen. Missbrauch und Gewalt beziehungsweise deren Duldung durch Wegschauen sollen mittels breiter Präventionsmaßnahmen verhindert werden. Unter dem Leitwort „Hinsehen statt wegschauen“ sollen fundiertes Wissen über Gewalt und Missbrauch und die Gefährdungspotenziale im kirchlichen Bereich Grundlage der Präventionsarbeit sein. Mit diesen Initiativen hat die Kirche in Österreich in diesen Jahren weltkirchlich vorbildliche Maßnahmen gesetzt.
 

Der „Aufruf zum Ungehorsam“

Gesprächsbedarf zwischen Rom und Österreich gab es im Zusammenhang mit dem „Aufruf zum Ungehorsam“ durch die österreichische „Pfarrerinitiative“, die diesen „Aufruf“ am Dreifaltigkeitssonntag, 19. Juni 2011, veröffentlichte. Sogar Papst Benedikt thematisierte den „Aufruf zum Ungehorsam“ im Rahmen der Chrisammesse am Gründonnerstag 2012. In Papst Franziskus sieht die „Pfarrerinitiative“ ihre Anliegen prominent in Rom vertreten. „Es ist allen Beteiligten im Vatikan und in Österreich hoch anzurechnen, dass man im Gespräch blieb“, so brachte Kathpress-Chefredakteur Paul Wuthe später das Geschehen auf den Punkt. Die einzig sichtbare „Sanktion“ bestand darin, dass Helmut Schüller, dem Frontmann der „Pfarrerinitiative“ und früheren Generalvikar, der Ehrentitel „Monsignore“ (zu Deutsch „Kaplan Seiner Heiligkeit“) vom Vatikan wieder entzogen wurde.
 

Die Erfolge des Krisenmanagers

Einen nicht so bekannten Erfolg zeigte das Krisenmanagement von Erzbischof Schönborn im Hinblick auf den Priesterrat. „Ich erinnere mich an die erste Sitzung des Priesterrats mit dem damals neuen Erzbischof Schönborn im Herbst 1995. Der Priesterrat verstand sich als eine Art ,Priester-Gewerkschaft‘, die dem ,Chef‘ die Meinung sagt. Die Stimmung war kämpferisch und konfliktgeladen“: Dies schrieb der damalige geschäftsführende Vorsitzende des Priesterrates, Pfarrer Josef Grünwidl, im Jahr 2020 anlässlich des 75. Geburtstags von Kardinal Schönborn im SONNTAG. Grünwidls Fazit: „Nicht bloß im Priesterrat, sondern im Presbyterium und in der gesamten Diözese hat sich die Stimmung geändert. Mir scheint, dass der Wahlspruch unseres Erzbischofs – ,Vos autem dixi amicos‘ (,Ich aber habe euch Freunde genannt‘) – nicht nur seine Beziehung zu Christus, sondern auch seinen Führungsstil charakterisiert.“ Der Kardinal leite die Diözese nicht wie ein „Chef“ als Stratege oder Manager, und er begegne den Priestern nicht als „Eminenz“ von oben herab, „sondern auf Augenhöhe“. Grünwidl: „Er sieht uns als seine Freunde. Ich bin dankbar, dass ich in einer Diözese Priester sein darf, wo es einen Bischof gibt, der als Mensch und Christ, als Hirte und Seelsorger ein Vorbild ist.“ Grünwidl erinnerte in diesem Zusammenhang an ein Wort des heiligen Augustinus: „Der Bischof muss Unruhestifter zurechtweisen, Kleinmütige trösten, sich der Schwachen annehmen, Gegner widerlegen, sich vor Nachstellern hüten, Ungebildete lehren, Träge wachrütteln, Eingebildeten den rechten Platz weisen, Streitende besänftigen, Armen helfen, Unterdrückte befreien, Gute ermutigen, Böse ertragen und – ach – alle lieben.“ 
 

Schlagwörter
Autor:
  • Stefan Kronthaler
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