Das jüdische Leben im Land der tausend Hügel
Eine versunkene WeltIn seinem Heimatort Hochwolkersdorf recherchierte Hagenhofer die Geschichte der jüdische Familie Winkler. „Den Kurt Winkler habe ich noch persönlich kennengelernt“, erzählt Hagenhofer. „Er hat mir erzählt, was 1938 passiert ist. Schlagartig wurde seine Familie im Ort geächtet. Junge Männer demonstrierten gegen die Juden und in der Nacht schlugen sie gegen ihre Häuser und drohten ihnen. Auch ihre Geschäfte wurden ausgeräumt. Dann mussten sie weg. Und nichts erinnerte mehr an die jüdische Familie, als ob es sie nie gegeben hätte.“
Die jüdische Familie Winkler
Der 12-jährige Kurt blieb bis zur Pogromnacht im November 1938 mit seiner Familie in Wiener Neustadt. Dann flüchteten sie weiter nach Wien. Mit einem der letzten Flüchtlingstransporte entkam er nach Palästina. Mit einem Donaudampfer fuhr die jüdische Familie Winkler von Bratislava bis zum Schwarzen Meer, mithilfe von Schleppern weiter bis Zypern und Palästina. Neun Monate verbrachten sie im Flüchtlingslager Atlit. Ehrgeizig und zielstrebig wie der junge Kurt war, machte er in der Firma Ford einen raschen Aufstieg und gründete Anfang der 70er Jahre eine eigene Firma. „Kurt Winkler hat Hochwolkersdorf später öfters besucht, wo er eine Freundschaft mit der Bäckersfamilie hatte, die ihm damals geholfen hatte“, erinnert sich der Historiker Johann Hagenhofer. Im Jahr 2012 erhielt die Familie Winkler in Hochwolkersdorf eine Gedenktafel.
Die Odyssee der Martha Winkler
Kurt Winkler hatte eine jüdische Cousine namens Martha. Auch ihre Familie hatte in Hochwolkersdorf ein Lebensmittelgeschäft. Auch ihre Geschichte wird im Buch „Eine versunkene Welt“ erzählt. Sie entstammte einer angesehenen jüdischen Familie und war zum Zeitpunkt ihrer Flucht 22 Jahre alt. Martha Winkler verfasste während ihrer Flucht ein einzigartiges Dokument, ein Tagebuch. Historiker Johann Hagenhofer durfte es im Zuge seiner Recherche lesen und dokumentieren. Martha Winkler schildert darin ihre Odyssee von Wien nach Haifa. Sie war auf einem der letzten Fluchtschiffe, der „Schönbrunn“, ein ehemaliges Ausflugsschiff. Ihre Geschichte erinnert stark an Flüchtlingstragödien von heute. Das Essen wurde am Schiff immer weniger. Die hygienischen Bedingungen katastrophal. Nach endlosen Wochen des Hinhaltens und der Qual kam sie nach 1945 nach Tel Aviv. Dort heiratete sie. „Sie blieb bis zu ihrem Tod im Herzen eine Österreicherin“, weiß Johann Hagenhofer aus Erzählungen von Martha Winklers Tochter. „Sie sprach in der Familie Deutsch und kochte österreichisches Essen, interessierte sich für die österreichische Kultur und wartete jedes Jahr auf das Neujahrskonzert.“
„Ich komme aus einer anderen Welt, die es nicht mehr gibt, von der alle Spuren ausgelöscht wurden und die nie wieder auferstehen wird. Einer Welt, in welcher Tradition und Religion sehr stark verankert waren.“
Fritz Blum
Trattenbach, wo die Ewigkeit beginnt
Die Familie Mautner baute einen der größten Textilkonzerne Europas auf. Ihre Villa in Wien war ein wichtiger Treffpunkt von Kulturgrößen. Auf ihren Ausflügen kam die Familie auch ins Wechselgebiet und erwarb eine Holzschleife in Trattenbach am Hinterotter, die sie bald in eine Weberei umbauten. Damit begann sich für den kleinen Ort viel zu verändern. Sohn Stephan liebte diese zweite Heimat und schrieb sogar ein Buch mit dem Titel „Trattenbach“. Dort heißt es: „Natur und Ewigkeit gehören zu einander, und wo beginnt die Ewigkeit? Am End’ der Welt, in Trattenbach für mich – für uns.“ 1938 musste die Mautner-Familie flüchten. Stephan Mautner ging nach Ungarn. 1944 begann dort die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung. Mautner und seine Frau Else wurden in Auschwitz ermordet.
Nie mehr wieder
Historiker Johann Hagenhofer hat das Projekt über die jüdische Bevölkerung in der Buckligen Welt selbst sehr bewegt, ist er doch auch ein Bewohner dieser Region. Er hat begriffen, wie schwer die Verletzungen für die jüdischen Familien waren. Wichtig war ihm, dass das Wissen nicht verloren geht. „Ich hoffe, dass man mit solchen Erzählungen die Jugend ansprechen kann. Damit wir aus der Geschichte lernen und sich solche Ereignisse, Antisemitismus und Rassismus, in unserem Land nicht mehr wiederholen werden.