Das Coronavirus ist eine Warnung

Wir wissen, das ist kein Einzelerlebnis
Ausgabe Nr. 24
  • Leben
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Umweltmediziner Hans-Peter Hutter erzählt über das Coronavirus
Umweltmediziner Hans-Peter Hutter erzählt über das Coronavirus ©Stefan Hauser

Hände waschen, Mundnasenschutz und Social Distancing sind für Österreichs Bevölkerung seit Monaten so fest verankert wie das Amen im Gebet. Nun kommen mehr Lockerungen, doch das Coronavirus ist nicht überwunden. Darüber spricht DER SONNTAG mit dem Umweltmediziner Hans-Peter Hutter von der Wiener Meduni.

Auch wenn mit 15. Juni größtenteils die Pflicht zum Tragen von Mundnasenschutz zur Vorbeugung der Ansteckung mit dem Coronavirus fällt, ist es neben Händewaschen und Social Distancing die effektivste Maßnahme gegen die Krankheit. Davon ist der Wiener Umweltmediziner Hans-Peter Hutter überzeugt. Ich treffe ihn zum Interview im Institut in Wien-Alsergrund. Dass wir das Interview mit genügend Abstand führen ist selbstverständlich. Wir thematisieren aber nicht nur die Coronakrise, sondern auch die Umweltenzyklika von Papst Franziskus und ein spezielles Hobby des Mediziners, das Skateboarden.

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Sie kommen täglich mit dem Rad in die Arbeit, warum?

Hans-Peter Hutter: Ich genieße das und mache alle meine Wege, egal wo ich hinfahre, immer mit dem Fahrrad. Täglich bin ich bis zu 20 Kilometer unterwegs.

Während des Coronavirus-Lockdowns haben sich auch wieder mehr Menschen aufs Rad begeben. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Hans-Peter Hutter: Ich fand es sehr gut. Man konnte gewisse Dinge ausprobieren, Straßenzüge, die für Fußgänger wirklich bereitgestellt wurden, ein Zurückgewinnen von bestimmten Flächen. Dass viele, die sich nicht trauen, in einem üblichen Tagesverkehr in Wien mit dem Fahrrad auf der Straße zu fahren, ein bisschen Eingewöhnungsmöglichkeit hatten, das fand ich gut. Ich denke, wenn du dann einmal reinkippst in das Ganze und merkst, wow, ich bin eigentlich eh relativ schnell, gewinnst du automatisch Wohlbefinden zurück.

Gibt es da eine Anregung des Landschaftsökologen und Umweltmediziners an politisch Verantwortliche?

Hans-Peter Hutter: Die Frage zielt auf etwas ab, womit ich eigentlich schon seit Mitte der achtziger Jahre konfrontiert bin, mit Städteplanung, Stadtentwicklung, Raumplanung, die zum Ziel hat, die Stadt fußgängerfreundlicher, kinderfreundlich zu machen. Da gibt es sehr viele Best-Practice-Beispiele in Skandinavien. Man braucht nichts mehr erfinden, man muss es nur umsetzen.

An welche Maßnahmen denken Sie?

Hans-Peter Hutter: An das Zurückgewinnen von öffentlichen Räumen, an Wohnstraßen, an das Tempo 30 vor Schulen und das Wiederbepflanzen von Straßenzügen. Das alles braucht es, um eine Stadt lebensfreundlicher, lebensbejahender zu machen. Auch wenn es einer Gruppe wehtut, und das sind die Autofahrer. Alle Konzepte zeigen, dass es ein Vorteil für die städtische Lebensqualität ist.

Sie fahren seit Jahrzehnten Skateboard. Was fasziniert Sie daran?

Hans-Peter Hutter: Es ist interessant, weil es sich enorm cool durchmischt. Das fasziniert mich. Man trifft in der Szene einen arbeitslosen Menschen genauso wie den Bankbeamten. In der Gruppe, in der ich mich bewege, kennt man sich, weiß um seine Grenzen, und es ist genau das, was es sein soll. Es ist Spaß, körperliche Anstrengung, auch mental anspruchsvoll. Und es ist ein soziales Event.

Seit fünf Jahren gibt es die Öko-Enzyklika „Laudato si“ („Gelobt seist du“) von Papst Franziskus? Wie sehen Sie diese?

Hans-Peter Hutter: Ich bin evangelischer Christ. Als Beobachter muss ich sagen, ich interessiere mich für Religion. Von einigen Päpsten war ich überhaupt nicht begeistert. Aber Papst Franziskus hat mich in vielerlei Hinsicht positiv überrascht. Der hat viele Aussagen getätigt, wo ich mir denke, er ist progressiver als einige Politiker, die ich kenne. Was er jetzt auch zu meinem Gebiet sagt, und wie er sich dem stellt, eindrücklich, mahnend, überzeugend. Gerade was die Klimakrise anlangt, wie er Stellung bezogen hat, das wünsche ich mir von vielen anderen auch.

Waren Sie von der schnellen Ausbreitung des Coronavirus überrascht?

Hans-Peter Hutter: Man lernt als Mediziner von der Spanischen Grippe mit Millionen Todesfällen, von der Pest, der Cholera. Die Medizinversorgung war damals ganz anders. Das kann man mit heute gar nicht vergleichen. Das wird uns nie wieder passieren, denkt man aus einer gewissen Überheblichkeit heraus. Das Coronavirus zeigt, wie schnell es gehen kann. Wir wissen, das ist kein Einzelerlebnis, sondern die Häufigkeit wird zunehmen.

Was hat aus Ihrer Sicht der Lockdown mit den Menschen gemacht?

Hans-Peter Hutter: Wie heißt es so schön? Die Hoffnung stirbt zuletzt. Es bleibt zu hoffen, dass da etwas übrig geblieben ist, denn es war eigentlich sieben Mal die Woche Sonntag plus/minus. Ich bin durch die Straßen mit dem Rad gefahren und war einfach nur überrascht, dass es wirklich funktioniert. Ich hätte das nie für möglich gehalten. Eindrucksvoll auch im Sinne meiner akustischen Wahrnehmung war auf einmal alles anders. Ich bin durch die Innere Stadt geradelt und habe mir gedacht, das ist wie eine Kulissenstadt, wo irgendwie Westernmäßig das Präriegras durchrollt. Und ich bin wie in einem Film. Ich konnte es wirklich nicht glauben, wie sich das abbildet.

Es gab aber auch schwierige Seiten des Lockdowns?

Hans-Peter Hutter: Für viele war es unerträglich. Da waren Menschen in ihrer Wohnung zu viert auf 35, 40 Quadratmetern mit ganz tristen Aussichten. Für die war diese Stille und alles, was damit zusammenhing, negativ. Da hat vielleicht jemand einen Job verloren und kommt hinten und vorne nicht mehr zusammen. Ich sehe aber auch, dass es Muße gibt, man auch lernen kann, weniger zu machen, und das sehe ich positiv.

Gibt es Sorge um eine zweite Welle an Erkrankungen?

Hans-Peter Hutter: Das wird von uns abhängen, inwiefern wir die Maßnahmen Händewaschen, Abstand halten und Maske tragen in speziellen Settings bis in den Herbst weiterführen. Als Arzt sollte man vorsichtig sein mit Prognosen. Es wird davon abhängen, inwiefern es möglich ist, die Akzeptanz der Bevölkerung so weit aufrecht zu erhalten, dass sie die Situation und das Coronavirus ernst nimmt und nicht sagt: Bitte, was soll das jetzt, ihr tut uns nur ärgern.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Coronavirus und dem Klimawandel?

Hans-Peter Hutter: Ja. Beim Klimawandel ist es der ungebremste Ressourcenverbrauch, das Roden von Urwäldern, das schonungslose Ausbeuten unserer Natur. Völlig wurscht, Hauptsache, es geht so vorwärts, wie wir wollen. Wenn man sieht, woher Corona kommt, dann hat das mit dem illegalen Handel von Wildtieren zu tun. Da darf man sich nicht wundern, dass auch ein Virus, das üblicherweise versteckt in einem Wirtsorganismus lebt, auf einmal von A nach B springt, und wir dieses Problem haben. Wir wissen, dass es noch viele andere Sachen gibt, die in verschiedenen Tieren drinnen leben, die von heute auf morgen auch wieder etwas auslösen können. Der Geist des ungebremsten Wachstums, der Geist, dass wir machen können, was wir wollen, der steckt in beiden Problembereichen.

Welche medizinischen Entwicklungen sind in den nächsten Monaten zu erwarten?

Hans-Peter Hutter: Es sind aus meiner Sicht drei Dinge, die notwendig sind, um gegen eine neue Erkrankung anzukommen. Das eine ist einmal Prävention. Wir müssen schauen, dass sie sich nicht ausbreitet. Das zweite ist ein Medikament. Das dritte ist die Impfung gegen das Coronavirus, die dauert am längsten. Das Medikament sehe ich deutlich im Vorteil, weil es eine kürzere Entwicklungszeit hat.

Finden Sie als Umweltmediziner jetzt mehr Gehör in der Politik beim Thema Luftverschmutzung?

Hans-Peter Hutter: Einen gewissen Rückenwind kann man vielleicht mitnehmen. Es zeigt sich, dass es bei Menschen mit Belastungen der Atemwege durch verschiedene Schadstoffe, Stickstoffdioxid und Partikel zu mehr Todesfällen während Corona gekommen ist. Die Luftverschmutzung hat einen Einfluss auf die Infektionszahlen. Was ich nach wie vor sehe ist, dass es sehr mächtige Lobbys im Verkehr geht. Entscheidend wird sein, ob es der Politik gelingt, einschneidende Maßnahmen zu setzen.

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