„Dann geh doch endlich!“
Passionswege - Teil 5Ich war auf einer spirituellen Suche“, das sagt Pater Jens Petzold beim Interview in Wien. Bis es aber dazu kam, dauerte es. „Ich komme aus einer sehr politischen Familie. Mein Großvater war vor dem Zweiten Weltkrieg der letzte frei gewählte Bürgermeister vom Prenzlauer Berg, des Bezirks Pankow in Berlin. Nach dem Krieg war er Bürgermeister von Neukölln, meine Mutter war Abgeordnete im Stadtparlament. Und so waren wir eigentlich alle Sozialisten und hatten gar nichts mit der Kirche zu tun.“
Jens Petzold und die Kampfkünste
Die Familie zieht, als Jens ein Bub ist, nach Zürich. Auch dort gibt es keinen Bezug zum Glauben: „Wir haben atheistisch gelebt“, unterstreicht er. Petzold ist aber ein Suchender, zu Beginn in der beruflichen Ausrichtung. Es folgen eine Lehre zum Buchbinder, dann zum Buchhändler, später wird er Postbeamter, doch auch da wird er trotz der bevorstehenden Pragmatisierung nicht glücklich. „Bis ich 30 war, wusste ich nicht wirklich, was ich machen wollte“, resümiert er.
Jens Petzold interessiert sich in der Folge für martial arts, verschiedene Kampfkünste um Feinde zu besiegen und sich vor feindlichen Angriffen zu schützen, auch für Aikido, eine defensive, moderne japanische Kampfkunst, und für Zen, eine Strömung des Buddhismus. „Darüber habe ich öfter mit Freundinnen und Freunden diskutiert, dann sagte eine Freundin zu mir ‚Mensch, dann geh doch endlich!‘“
„Ich sag dir nicht Auf Wiedersehen, weil du ja wiederkommst.“
Jens Petzold
Wie Jens Petzold Mönch wurde
Das ist das Stichwort für Petzold, er kündigt seine sichere Stellung bei der Post und macht sich auf den Weg. „Ich wollte nach Japan, aber nicht fliegen, daher habe ich einen Umweg über Griechenland genommen, dann kam ich in den Libanon und dann nach Syrien.“ Dort vollzieht Petzold eine 180-Grad-Wende. Er kommt zum Wüstenkloster Dair Mar Musa al-Habaschi, „das Kloster des heiligen Moses von Abessinien“. Das syrisch-christliche Kloster erhebt sich auf einem Felsvorsprung am Abhang des Antilibanon-Gebirges. Es steht an der Stelle und auf den Grundmauern eines noch von den Römern errichteten Wachturms. Petzold lernt dort den Klostergründer Pater Paolo Dall´Oglio
kennen und bleibt 14 Tage. Beim Abschied sagt Pater Dall´Oglio: „Ich sag dir nicht Auf Wiedersehen, weil du ja wiederkommst.“ So kommt es. Einige Monate später kehrt Petzold zurück. „Er lud mich zu spirituellen Exerzitien ein und schließlich blieb ich ein Jahr als Volontär. Es war eine Gemeinschaft von Mönchen und Nonnen aus verschiedenen Ländern.“ Nach diesem Jahr, es ist Februar 1996, fragt Jens Petzold Pater Paolo nach der Taufe. Er sagt: „In zwei Wochen ist Ostern, machen wir das in der Osternacht.“
Klosteraufbau im Nordirak
Zurück in Europa, genauer gesagt in der Schweiz und in Deutschland, merkt Jens Petzold, dass er wieder nach Mar Musa und Mitglied der Gemeinschaft werden möchte. „Mich haben die Gastfreundschaft und die Offenheit gegenüber anderen Religionen angezogen.“ Er tritt ein und erhält 2012 die Weihe zum chaldäisch-katholischen Priester. Es folgt der Ruf ins Marienkloster Sulaimaniyya in den Nordirak, wo ihn der heutige Patriach Louis Raphael I. Sako bittet, die „Mar Musa“-Gemeinschaft, die alte Pfarrkirche, als Kloster zu revitalisieren. Gesagt, getan. Pater Jens Petzold baut das Kloster der Jungfrau Maria (Deir Maryam Al-Adhra) nahe der iranischen Grenze wieder auf.
Tragische Kapitel für Pater Jens Petzold
Pater Paolo Dall’Oglio, der Gründer der Gemeinschaft und des Stammklosters in „Mar Musa“, der Pater Jens Petzold von Anfang an begleitet hat, wird im Juli 2013 von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) entführt. Bis heute fehlt von ihm jede Spur. Auch Pater Jacques Mourad, Gründungsmitglied von „Mar Musa“ und heutiger Erzbischof von Homs, wird 2015 vom IS entführt und in Geiselhaft genommen. Es gelingt ihm aber gemeinsam mit Mitgliedern seiner Pfarre die Flucht. Bereits im August 2014 fällt der IS in die Ninive-Ebene ein. Viele vertriebene Jesiden kommen in die Kirchengemeinde, die 1.300 Mitglieder hat und für die Pater Petzold verantwortlich zeichnet. „Zu Beginn haben wir 5.000 Flüchtlinge versorgt, in ganz Kurdistan gab es zwei Millionen Vertriebene bei fünf Millionen Einwohnern.“
Hilfe aus Österreich
Wichtige Hilfe startet in dieser Zeit die Initiative Christlicher Orient (ICO) aus Linz. Es kommt die Anfrage, was benötigt wird. „Wir organisierten Matratzen und andere Hilfsgüter. Doch schon bald merkten wir, es gibt ein Kommunikationsproblem. Es sind viele Arabisch sprechende Menschen in Sulaimaniyya, die kein Kurdisch sprechen. Die Kurden können nicht mehr so gut Arabisch wie früher. Daher begannen wir, Sprachkurse für Kurdisch, Arabisch und auch Englisch anzubieten, um die Kommunikation zwischen verschiedenen Gruppen zu verbessern“.
„Patriarchale Strukturen aufbrechen“
Jens Petzold
Bis 2003 lebten noch bis zu 1,5 Millionen Christen im Irak. Heute sind es nach den optimistischsten Schätzungen 400.000. 90 Prozent davon leben im Nordirak in Kurdistan oder der westlich davon gelegenen Ninive-Ebene. Rund 97 Prozent der Bevölkerung ist muslimisch, rund 60 Prozent Schiiten, 37 Prozent Sunniten. Es ist ein umfangreiches Wirken der kleinen Gemeinschaft im nordirakischen Sulaimaniyya. Zur Gemeinschaft gehören zwei Mönche und drei Frauen, die natürlich getrennt von den Mönchen leben, einzig Gebetszeiten werden miteinander verbracht sowie die Arbeit in den Kursen, denn ein Schwerpunkt liegt auf Bildung. „Wir hatten schon Elektriker- und Maurerkurse“, erläutert Pater Petzold Die Gemeinschaft bietet Sprachkurse in Arabisch, Kurdisch und Englisch, Seminare zur Rolle der Frau, um patriarchale Strukturen aufzubrechen, weiters eine Theatergruppe wie auch Meditationskurse. Rund 2.200 Menschen nahmen bisher daran teil, zwei Drittel Frauen und ein Drittel Flüchtlinge und Vertriebene. Es ist gelebte Arbeit für den christlich-islamischen Dialog. Pater Jens Petzold: „Die Kirche muss für alle offen sein, ohne dabei ihre eigene Spiritualität zu verlieren. So leben wir in unserem Kloster.“
Jens Petzold: „Ich möchte auf jeden Fall noch längere Zeit bleiben.“
Mittlerweile ist Pater Jens Petzold 63 Jahre alt und trotz der unsicheren Lage fühlt sich der Ordensmann in Sulaimaniyya und auch in ganz Kurdistan sicher. Er hat einen Status als „Ausländer“ und einen Schweizer Pass, kann damit jederzeit ausreisen. Gefragt, ob er sich weiter im Nahen Osten sieht, sagt er: „Ich möchte auf jeden Fall noch längere Zeit bleiben.“

Zur Person
Pater Jens Petzold (63) von der ökumenischen Gemeinschaft al-Khalil ist Leiter des Klosters der Jungfrau Maria (Deir Maryam al-Adhra) in der irakischen Stadt Sulaimaniyya.
Das Hilfswerk ICO
Das Hilfswerk ICO (Initiative Christlicher Orient) hat 2023 rund 1,1 Millionen Euro für Hilfsprojekte im Nahen Osten aufgewendet. 23 Prozent der Hilfsmittel flossen in Schul- und Bildungsprojekte, 18 Prozent in Winternothilfe, 14 Prozent in Hilfe nach dem verheerenden Erdbeben vom Februar 2023 in Syrien und der Türkei, 13 Prozent in Nahrungsmittelhilfe, der Rest in weitere Sozialprojekte. Die Hilfe kommt Christen und Muslimen zugute. Die Projektpartner sind stets christliche Einrichtungen oder Kirchen.

Passionswege auf radio klassik Stephansdom
Am 5. April um 19:00 Uhr spricht Pater Jens Petzold über seine Tätigkeit als Mönch im Nordirak. Gestaltung: Stefan Hauser (DaCapo: 9. April um 21:00 Uhr.) ▶ radioklassik.at