Anna Dengel: Medizinerin mit Mitgefühl
März-Serie: Frauen, die bewegenDie Arbeit, die Anna Dengel und ihre Schwestern in Indien vollbrachten, ist das größte Geschenk an dieses Land. Denn bis zu ihrer Zeit haben sich Nonnen niemals auf rein medizinische Aufgabengebiete konzentriert“, brachte Mutter Teresa das Lebenswerk der österreichischen Ärztin, Ordensfrau und Missionarin auf den Punkt.
Anna Dengel suchte gezielt nach Ärztinnen
Anna Dengel wurde am 16. März 1892 als ältestes von neun Kindern in Steeg geboren, einem kleinen Dorf im Lechtal in Tirol. Sie erhielt in Hall eine gute Schulbildung und konnte Matura machen. Bereits in jungen Jahren zeigte sich ihr Interesse an der Medizin. Ihre Entscheidung, an der katholischen Universität von Cork in Irland zu studieren, wurde maßgeblich von der schottischen Ärztin Agnes McLaren beeinflusst. Diese suchte gezielt nach Frauen, die bereit waren, in Indien als Ärztinnen zu arbeiten, da dort viele Frauen aus religiö- sen und kulturellen Gründen nicht von männlichen Medizinern behandelt werden durften. Dengel nahm diese Herausforderung an, schloss 1919 ihr Studium ab und begann 1920 ihre Arbeit in Rawalpindi, dem heutigen Pakistan.
Hürden für Anna Dengel innerhalb der Kirche
Dort erlebte sie hautnah das unermessliche Leid der Frauen, die aufgrund fehlender medizinischer Versorgung oft unter schwersten gesundheitlichen Problemen litten oder gar starben. Dengel erkannte, dass eine nachhaltige Verbesserung nur durch eine gezielte medizinische Infrastruktur und den Einsatz weiblicher Fachkräfte möglich war. Doch als sie in Erwägung zog, einem Missionsorden beizutreten, stieß sie auf eine unerwartete Hürde: Ordensfrauen war es damals nicht erlaubt, als Ärztinnen zu arbeiten. Anstatt sich entmutigen zu lassen, beschloss Anna Dengel, eine eigene Gemeinschaft zu gründen. 1925 wurde ihre Vision Wirklichkeit: Die von ihr verfasste Kon- stitution für die Gemeinschaft der Missionsärztlichen Schwestern, die sie im Sinn hatte, wurde vom Bischof von Baltimore genehmigt. Gemeinsam mit drei weiteren Frauen – einer Ärztin und zwei Krankenschwestern – rief sie in den USA die Gesellschaft der Missionsärztlichen Schwestern (Medical Mission Sisters) ins Leben. Dieser mutige Schritt war ein „heiliges Experiment“, wie sie es selbst nannte, und stellte eine Revolution innerhalb der katholischen Kirche dar.
Wie Anna Dengel die Herausforderungen meisterte
Die ersten Jahre waren von zahlreichen Herausforderungen geprägt. Die Schwestern legten bewusst keine öffentlichen Gelübde ab, da dies ihre medizinische Tätigkeit eingeschränkt hätte. Doch Anna Dengel kämpfte unermüdlich weiter – und mit Erfolg. 1936 würdigte der Vatikan die Notwendigkeit ihrer Arbeit und 1941 wurde die Gemeinschaft offiziell als Ordensgemeinschaft anerkannt. Dengel selbst legte gemeinsam mit ihren Mitschwestern die Ewigen Gelübde ab und wurde zur ersten Generaloberin ernannt. Unter ihrer Leitung wuchs die Gemeinschaft stetig. Die Missionsärztlichen Schwestern bauten weltweit Krankenhäuser, Entbindungsstationen und Ausbildungsstätten auf. Ihre Arbeit erstreckte sich von Indien bis Afrika und Lateinamerika. Dengels Ansatz war stets ganzheitlich: Sie sah die medizinische Versorgung nicht nur als Mittel zur Heilung des Körpers, sondern auch als Weg, den Menschen Gottes Liebe und Mitgefühl näherzubringen.
Neue Form der missionarischen Arbeit durch Anna Dengel
Die Missionsärztlichen Schwestern entwickelten sich im Laufe der Jahrzehnte weiter. Während sie bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) einen primär medizinischen Ansatz verfolgten, erweiterte sich ihr Wirkungsbereich zunehmend. Heute arbeiten die rund 500 Schwestern und 100 assoziierten Mitglieder nicht nur als Ärztinnen, Psychotherapeutinnen und Sozialarbeiterinnen, sondern engagieren sich auch in der Seelsorge für Obdachlose, Migranten und Arme. Anna Dengel starb am 17. April 1980 in Rom, ihr Erbe lebt weiter. Ihr Mut, ihre Weitsicht und ihre Entschlossenheit haben die Weichen für eine neue Form missionarischer Arbeit gestellt – eine solche, die nicht nur den Glauben verkündet, sondern ihn in gelebte Nächstenliebe umsetzt.