Angst vor dem Alltag? Das muss nicht sein!
LebenshilfeAntonia ist 45 Jahre alt. Das Leben hat es nicht immer gut mit ihr gemeint. Im Laufe der Jahre hat sie eine Vielzahl an Ängsten entwickelt, die ihren Alltag immer mehr eingeschränkt haben. Durch die Angst vor überfüllten U-Bahnen, vor Menschenansammlungen hat sie sich immer mehr zurückgezogen. Die Wohnung zu verlassen, war an manchen Tagen eine echte Herausforderung und doch tat sie es, um ihren Beruf als Friseurin ausüben zu können. Als Anfang 2020 die Corona-Pandemie beginnt, die Welt in Atmen zu halten, nehmen Antonias Ängste überhand. „Corona mit all seinen Bedrohungen hat sich auf all die ohnehin schon vorhandenen Ängste geradezu ,draufgesetzt‘“, sagt Brigitte Schmid, Leiterin des Beratungsdienstes des Instituts für Ehe und Familie. „Antonia musste in der Folge aufhören zu arbeiten, war gänzlich arbeitsunfähig. Sie war total auf sich zurückgeworfen.“
Therapie und Beratung hilft der Angst vor dem Alltag zu entgehen
Die Therapie, die sie schließlich beginnt, und die Medikamente, die sie verschrieben bekommt, helfen. Beim Beratungsdienst des Institutes für Ehe und Familie sucht sie zusätzlich Hilfe. In eine face-to-face Beratung, eine persönliche Beratung vor Ort, traut sie sich nicht mehr. Alles muss telefonisch gehen oder über Videoanrufe. „Das hat Gott sei Dank funktioniert“, sagt Brigitte Schmid. „Wenn alles wegbricht, die Ängste überhand nehmen und alle Lebensbereiche einschränken, dann ist es wichtig, dass etwas bleibt, dass es etwas Fixes im Alltag gibt. In diesem Fall war das die Therapie und wir als Beratungsstelle. Einmal in der Woche haben wir uns verlässlich bei ihr gemeldet.“
Aus der Angst vor dem Alltag wird die Angst vor der Schule
Oliver ist 16 Jahre alt. Statt in die Schule zu gehen, beschließt er eines Tages, sich in ein Kaffeehaus zu setzen. Der Grund? Angst vor der Schule – konkret vor Prüfungen und speziell vor einem ganz bestimmten Lehrer. Irgendwann kommt Olivers Mutter dahinter, wo ihr Sohn seine Vormittage verbringt. Sie ist es auch, die sich zuerst bei der Beratungsstelle des Instituts für Ehe und Familie meldet. „Sie wollte ihrem Kind unbedingt helfen, war mit ihrem Latein aber am Ende“, erzählt Brigitte Schmid, Leiterin des Beratungsdienstes des Instituts für Ehe und Familie. „Es hat dann ein bisschen gedauert, bis Oliver zu uns in die Beratungsstelle gekommen ist.
Spirale aus Angst, Verweigerung und Ablehnung
Aber als es dann geklappt hat, haben wir versucht, der Sache auf den Grund zu gehen, haben versucht, gemeinsam herauszufinden, wo die Ursache seiner Angst sitzt. Das ist wichtig, um aus dieser Spirale aus Angst, Verweigerung und Ablehnung herauszukommen.“ Nach vielen Gesprächen wird klar, dass es in Olivers Schule einen Lehrer gibt, der in regelrecht fertigmacht. „Da gab es scheinbar eine Situation, da hat Oliver etwas nicht gewusst und der Lehrer hat sehr wenig einfühlsam reagiert und diese Situation hat sich dann scheinbar immer wieder wiederholt“, erzählt Brigitte Schmid. „Wir haben daraufhin mit dem Jugendlichen überlegt, was er tun kann. Ich habe versucht, ihm zu vermitteln, dass Flucht kein Weg ist, dass er in die Schule zurückmuss.“
Die Wurzeln der Angst vor dem Alltag
„Angst kann uns alle treffen – egal in welchem Alter, egal in welcher Lebenssituation“, sagt Brigitte Schmid. „Und: Wir stellen hier in der Beratungsstelle fest, dass die Ängste, mit denen die Menschen zu uns kommen, sehr konkret sind.“
Aber wie entsteht eigentlich Angst im Alltag? „Angst ist etwas sehr Individuelles – nicht jeder hat vor den gleichen Dingen Angst und natürlich ist es auch so, dass manche Menschen ängstlicher sind als andere. Oft gibt es aber psychische Faktoren, die die Entstehung von Ängsten begünstigen. Meist sind das traumatische Kindheitserlebnisse. Und traumatisch, das muss man an dieser Stelle sagen, kann etwas sein wie Gewalt in der Familie. Aber es kann auch etwas sein, das nach außen hin durchwegs harmlos erscheint, wie etwa sehr lang anhaltender Stress oder eine dauerhafte belastende Situation.“
Angst ist nicht gleich Angst
Grundsätzlich sei es ja so, dass Angst prinzipiell nichts Schlechtes ist. „Angst hält uns wachsam, lässt uns aufmerksam sein, warnt uns vor Gefahren, fokussiert uns vielleicht sogar auf ein Ziel hin“, sagt Brigitte Schmid. „Schwierig wird es, wenn die Angst zu viel wird, also wenn man über einen langen Zeitraum Angst vor dem Alltag hat, vor den alltäglichen Dingen, den alltäglichen Pflichten. Oder vor Dingen, vor denen sonst kaum jemand Angst hat – vor überfüllten U-Bahnen etwa. Oder wenn man so gut wie immer Angst davor hat, dass etwas Schlimmes passiert oder passieren könnte – wenn man also in diesen „Worst-Case-Szenarios“ stecken bleibt. Wenn also die Angst absolut nie verschwindet – man vielleicht auch nicht mehr schlafen kann oder bereits körperliche Beschwerden entwickelt wie Herzrasen, Atemnot oder Ähnliches.“
Was tut mir gut
Aber was kann man nun eigentlich gegen Angst tun? „Oft hilft es, den Lebensrhythmus etwas zu ändern“, sagt Brigitte Schmid. „Bauen sie ein bisschen körperliche Betätigung in ihren Alltag ein. Gehen sie laufen, radfahren oder auch spazieren – raus in die Natur. Oder kochen Sie sich etwas Gutes.“ Im Grunde gehe es darum, herauszufinden, was Entspannung bringen kann. „Holen Sie das, was guttut in ihr Leben, in ihren Alltag. Schaufeln Sie sich Zeit frei für Dinge, die Ihnen Freude bringen. Und haben Sie dabei bitte kein schlechtes Gewissen.“
Sich der Angst stellen
Ganz oft helfe es zudem, so paradox das klingt, sich seinen Ängsten zu stellen. „Wenn man etwa Angst vor Fahrstühlen hat, dann kann man doch versuchen, ganz oft einen Fahrstuhl zu nutzen“, sagt Brigitte Schmid. „Der Sinn dahinter ist: Ich muss Erfahrungen mit meinen Ängsten sammeln. Möglichst positive. Muss sehen und spüren, dass mir in einem Fahrstuhl nichts passiert.“ Diese „Konfrontationstherapie“ müsse dabei auch nicht gleich den großen Erfolg haben und die Angst von jetzt auf gleich auslöschen. „Aber auch kleine Erfolge sind ein Grund, sich zu freuen. Und auch sie helfen, die Angst von einer emotionalen, irrationalen Ebene auf die Vernunftebene zu heben.“
Von der Angst vor dem Alltag zur Angststörung
Das Schlimmste, was man mit Angst tun kann, sei, sie wegzuschieben und so zu tun, als gäbe es sie nicht, sagt Brigitte Schmid. „Und die höchste Eskalationsstufe ist bestimmt, wenn man sich aus allem total herausnimmt. Das ist dann ein Ausdruck der völligen Überforderung mit allem. Dann muss man ganz klar auch von einer Angststörung sprechen.“
Wenn es alleine nicht mehr geht
Spätestens dann ist es wichtig, sich Hilfe von außen zu holen. „Wir alle brauchen Erholung, wir müssen auch mal durchschnaufen können. Und wenn wir das nicht mehr alleine können, weil uns die Angst so sehr im Griff hat, dann muss diese Erholung sozusagen von außen herbeigeführt werden“, sagt Brigitte Schmid. „Das kann dann zum Beispiel in einer Beratungsstelle wie der unseren sein. Was wir dann versuchen, ist, den Hilfesuchenden die Zusage zu geben, dass wir Menschen immer Zuversicht und Hoffnung haben dürfen, egal, wie schlecht es uns auch immer gehen mag. Dass wir aber natürlich auch aktiv dafür etwas tun müssen.“
Die „kleinen Lichter“, die gegen die Angst vor dem Alltag helfen
Die „kleinen Lichter“ zu finden, die es in jedem Leben gibt, sei tatsächlich oft eine wirkliche Herausforderung. „Aber wenn es gelingt, den Blick auf das richten, was gut ist rund um uns herum, dann ist ein erster Schritt bereits getan. Das kann unmittelbar für mich selbst etwas Gutes sein oder das kann auch sein, dass ich für andere etwas Gutes tue.“
Auch in der Angst handlungsfähig bleiben
Manchmal aber, das müsse man ganz klar sagen, reiche eine reine Beratung nicht aus. Manchmal sei eine Therapie notwendig. „Und bei massiven Angstzuständen braucht es einen Arzt, keine Frage“, betont Brigitte Schmid. „Der kann dann auch mit Medikamenten helfen.“
In jedem Fall gehe es immer darum, handlungsfähig und aktiv zu bleiben – beziehungsweise es wieder zu werden. „Angst kann uns so richtiggehend lähmen“, sagt Brigitte Schmid. „Wir sind dann geradezu unfähig, uns zu bewegen – geistig und körperlich und das verstärkt die Angst noch.“
Nur ein kleiner Ruck
Und was kann ich als Außenstehender tun, etwa wenn ich in meiner Umgebung Menschen habe, die unter großen Ängsten leiden? „Immer wieder das Gespräch suchen, wo möglich Perspektiven aufzeigen und nicht müde werden zu betonen, dass diese ungesunde, dauerhafte Angst nicht sein muss, dass man das nicht aushalten muss“, rät Brigitte Schmid. „Und dabei immer wieder darauf hinweisen, dass es Hilfe gibt, vielleicht auch konkret von einer Beratungsstelle erzählen. Oft braucht es ja ohnehin nur einen kleinen Ruck und dann ist ganz viel möglich.“
Zurück im Alltag
Bei Oliver hat sich die Situation mittlerweile entspannt. „Gemeinsam mit seiner Mutter ist er zu dem Lehrer gegangen. Das, was er dort sagen möchte, haben wir davor in der Beratungsstelle vorbereitet. Und tatsächlich hat sich die Situation nach diesem Gespräch gebessert“, sagt Brigitte Schmid. „Es hat zwar ein bisschen gedauert, bis er wieder in die Schule gegangen ist, aber wir haben gemeinsam eine Struktur erarbeitet und am Ende war es tatsächlich ein tolles Zurückführen in einen Alltag, den er bis zu diesem Zeitpunkt ja komplett abgelehnt hat. Wenn so etwas gelingt, wenn, wie in diesem konkreten Fall, die Angst geradezu verschwindet, ist das natürlich ganz besonders schön.“