Abtreibungsdebatte in Österreich

Eine Nation diskutiert
Ausgabe Nr. 40
  • Leben
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Warum entscheiden sich manche Frauen für und manche gegen eine Abtreibung? ©kieferpix

Die Abtreibungsdebatte in Österreich erlebt einen neuen Höhepunkt. Der einzige Abtreibungsarzt in Vorarlberg ist in Ruhestand gegangen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO sieht Abtreibung als Gesundheitsfürsorge. Wir beleuchten die Diskussion um Frauenrechte und ethische Bedenken.

Die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, könnte in ihrer Wortwahl nicht klarer sein: „Abtreibungsfürsorge ist Gesundheitsfürsorge, und Gesundheit ist ein Menschenrecht“, heißt es in einer Aussendung zum „Internationalen Aktionstag für das Recht auf sicheren und legalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen“ am 28. September.

Doch ganz so einfach scheint die Sache dann doch nicht zu sein, verfolgt man die Debatte, die in den vergangenen Wochen in Österreich einmal mehr aufgeflammt ist. Aktueller Anlass: Die Nachricht aus Vorarlberg, dass der einzige Arzt, der dort Abtreibungen durchführt, in Pension geht und Abtreibungen im Land nicht garantiert werden können. Erst Ende 2024 soll eine Abtreibungspraxis beim Krankenhaus Bregenz fertiggestellt werden.  

Kritik von verschiedensten Seiten ließ nicht lange auf sich warten. Kurz vor dem  28. September wurde die Kampagne #AusPrinzip vorgestellt, die sich für kostenfreie, legale und sichere Schwangerschaftsabbrüche in öffentlichen Spitälern in allen Bundesländern ausspricht. „Ungewollt Schwangere haben ein Recht auf sichere, legale und kostenfreie Abtreibungen in Wohnortnähe“, sagt dazu die Bundesfrauensprecherin der Grünen, Meri Disoski. „Die Debatten über Schwangerschaftsabbrüche in Vorarlberg und über Statistiken und Motivforschungen in Tirol und Salzburg zeigen, dass das Recht auf Abtreibung fragil ist und immer wieder verteidigt werden muss“, so die Frauensprecherin der Grünen Wien, Viktoria Spielmann.

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Keine Fristenregelung mehr?

Auch die in Österreich seit bald 50 Jahren geltende sogenannte Fristenregelung (Paragraph 96), die einen Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten nach der Einnistung unter bestimmten Bedingungen straffrei macht, rückte wieder in den Blick. Sie sei in der Vergangenheit ein „sehr wichtiger frauenpolitischer Schritt zur Ermöglichung von Schwangerschaftsabbrüchen“ gewesen, so Meri Disoski. Nun werde es aber Zeit für nächste Meilensteine: „Abbrüche sind reguläre medizinische Eingriffe und sollten als solche nicht im Strafgesetzbuch geregelt sein.“

Alle Seiten sehen

„Wir bedauern die einseitige Kampagne #AusPrinzip, denn sie polarisiert neuerlich, ohne Antworten auf ungelöste Fragen zu geben“, betont in diesem Zusammenhang Martina Kronthaler, Generalsekretärin von aktion leben österreich. „50 Jahre nach dem Beschluss der Fristenregelung ist es Zeit, miteinander konstruktiv über das Thema Schwangerschaftsabbruch zu sprechen.“  Um den Titel der Kampagne aufzugreifen: #AusPrinzip müsse man alle Seiten sehen. „Mutige und weitsichtige Frauenpolitik sieht die Tiefe und Weite des Themas für Frauen und muss daher nicht ausblenden, dass das Thema Abtreibung eine ethische Dimension hat“, betont Kronthaler. „Wir müssen den Frauen die volle Entscheidungsfreiheit geben und wünschen uns auch, dass sie bei einem Abbruch medizinisch und menschlich bestmöglich behandelt werden. Wir müssen aber gleichzeitig wahrnehmen und anerkennen, dass es um das Leben eines Kindes geht.“ Die derzeitige Regelung bilde die Besonderheit der Situation eines Abbruchs ab, der eben nicht mit anderen medizinischen Eingriffen verglichen werden kann. „Aus Respekt vor dem ungeborenen Kind ist ein Abbruch grundsätzlich verboten. Und aus Respekt vor der Entscheidungsfreiheit der Frau ist er straffrei.“

Es braucht dringend Statistiken

Es braucht deshalb auch weniger eine Debatte um die Ausweitung der Möglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch, sondern vielmehr endlich anonyme Statistiken rund um das Thema, um ein klareres Bild von der eigentlichen Situation in Österreich zu bekommen – auch um Präventions- und Hilfsangebote für die betroffenen Frauen zu schnüren. Nach wie vor wisse man etwa nicht, wie viele Schwangerschaftsabbrüche es in Österreich gibt und auch über die Motive der Frauen, etwa wieso sie sich für einen Abbruch entscheiden oder wie es zu der ungewollten Schwangerschaft gekommen ist, herrsche Unsicherheit.  „Wir können viel von Frauen lernen, die im Konflikt sind oder waren“, weiß Martina Kronthaler aus zahlreichen Gesprächen in der Schwangerenberatung von aktion leben österreich. „Die lebensgeschichtliche Bedeutung der Entscheidung beschäftigt sie tief, ebenso die Empfindungen, Hoffnungen und Wünsche hinsichtlich ihrer Beziehungen, Familie und Herkunftsgeschichte.“ Statistiken seien damit das Um und Auf für  eine „sachgerechte Beschäftigung mit dem Thema.“

Autor:
  • Portraitfoto von Andrea Harringer
    Andrea Harringer
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