25 Jahre Frieden in Nordirland
Ein langer und blutiger WegAls der Nordirland-Konflikt – The Troubles – begann, waren Sie Priesterseminarist in Belfast. Wie haben Sie die Situation damals wahrgenommen?
Es war zuerst in Belfast eine Bewegung für Bürgerrechte. Zum Beispiel bei den örtlichen Wahlen durften nur diejenigen, die ein Haus besaßen, abstimmen. Wer mehr als ein Haus besaß, konnte mehrmals abstimmen. Diejenigen, die Miete bezahlten, durften bei den Kommunalwahlen nicht wählen. Ich war auch bei verschiedenen Protestmärschen dabei. Aber nach den negativen Reaktionen auf der Seite des nordirischen Staates ist alles langsam viel dunkler geworden. Wir haben gedacht, das alles dauert drei Monate, nicht länger. Es hat 30 Jahre gedauert, weil der unionistische Staat vom Anfang an behauptet hat, alle Protestierenden seien eigentlich Terroristen.
Nach Ihrem Auslandsjahr in Deutschland waren Sie von 1971 bis 1973 Irland-Korrespondent der deutschen Katholischen Nachrichtenagentur.
Ich habe versucht, für die deutschen Leser verständlich zu machen, wie das Leben für uns war und was da rauskommen könnte. Das war nicht einfach, weil ich selbst nicht verstanden habe, was in diesen Jahren los war. Niemand hat wirklich verstanden, wohin wir auf dem Weg waren.
Konnten Sie diesen ersten Höhepunkt des Konflikts, den Bloody Sunday vom 30. Jänner 1972, überhaupt erklären?
1972 war das schlimmste Jahr dieser insgesamt dreißig Jahre des Konflikts. Wir hatten fast 500 Tote, fast 5.000 Verletzte bei einer Bevölkerung von anderthalb Millionen. Aber die Erschießung der unbewaffneten Zivilisten hier in Derry an diesem Tag durch britische Soldaten hat für mich sehr klar gemacht: Das ist kein kleiner, religiös begründeter Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten, sondern ein jahrhundertelanges Problem zwischen Großbritannien und Irland, zwischen denjenigen, die meinen, wir seien Iren, und denjenigen, die sich für Briten halten.
Bischof McKeown und seine Erinnerungen an Bloody Sunday in Derry
Wie ist es zum Durchbruch der Friedensverhandlungen gekommen?
John Hume (Anmerkung: Mitbegründer und Vorsitzender der Social Democratic and Labour Party, die sich für eine gewaltlose Wiedervereinigung Irlands einsetzt) hat verstanden, nur mit mehr Druck von außen könnte etwas geschehen, durch Druck von Europa, durch Druck vonseiten der Amerikaner, damit auf der einen Seite die IRA und auf der anderen Seite die britische Regierung zum Verhandlungstisch kommt. Hume hat immer wieder gesagt: „Langsam schaffen wir den Frieden.“ Das Abkommen vom April 1998 ist ein internationaler Vertrag zwischen der irischen Regierung und der Westminster-Regierung. Man hat versucht, diese verschiedenen Identitäten – irisch und britisch – irgendwie ins Gleichgewicht zu bringen mit der Hoffnung, dass man auf dem Fundament eine bessere Zukunft bauen könnte.
Wie sehen Sie die Entwicklung seither?
Wir haben seit 25 Jahren einen relativen Frieden, der Wohlstand ist gewachsen, auch wenn viele Priester mir sagen, dass die Lage für viele Leute eigentlich im Frieden schlimmer geworden ist – durch Drogensucht, Alkohol, Suizid, Gewalt innerhalb von Familien.
Als Kirche haben wir eine prophetische Rolle, mehr in die Zukunft zu schauen: Wie können wir ein besseres Irland schaffen? Wie können wir nicht nur sagen, Irland muss wiedervereinigt werden, sondern was wird ein gutes Irland sein? Besonders für diejenigen, die heute arm sind oder ihren Platz in der Gesellschaft nicht finden.
Im Herzen des Glaubens liegt diese Überzeugung, dass Gott immer eine gute, positive Zukunft für uns plant, auch wenn wir nicht wissen, wohin die Kirche geht. Auch in den schlimmsten Zeiten ist Gott sehr aktiv. Die Heilige Schrift ist voll der Hoffnung: Hinter jedem Kalvarienberg steckt ein leeres Grab. Denken wir nur an die Emmausgeschichte am Ende des Lukasevangeliums. Die Geschichte neu zu lesen, um darin Hoffnung und Sinn zu finden, ist schon wichtig. Ich bin hoffnungsvoll: Wir haben in Derry relativ viele junge Menschen, die an Jesus Christus glauben und eine bessere Gesellschaft schaffen wollen.
Die Ursache des Nordirland-Konflikts liegt sehr lange zurück. Seit Anfang des 17. Jahrhunderts siedelten protestantische Engländer und Schotten in der Provinz Ulster im Nordosten Irlands; und 1801 kam Irland komplett unter englische Herrschaft. Das 20. Jahrhundert stand im Zeichen von Widerstand und Partisanen- und Bürgerkrieg. Ab 1948 gab es eine unabhängige Republik Irland; doch der Nordosten blieb unter englischer Kuratel, als Teil des "Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland".
Die irische Republik pochte stets auf eine Herausgabe des Nordens, in dessen ländlichen und ärmeren Regionen die katholischen Iren in der Mehrheit waren. In den Städten sorgte eine protestantische Baupolitik dafür, dass Katholiken in ihren Wahlkreisen keine Mehrheiten bekommen konnten. Zeitweise durften hier nur Haus- und Wohnungseigentümer wählen.
Seit 1966, als militante Protestanten durch Attentate katholische Ressentiments gegen die behördliche Diskriminierung anheizten, wurde der Konflikt blutig. Im Herbst 1968 gingen katholische Bürgerrechtler erstmals auf die Straße und wurden von der Polizei niedergeknüppelt. Wut weitete sich aus.
Im August 1969 gab es erneut Gewalt, als Protestanten das katholische Viertel Bogside am Stadtrand von Derry stürmten. Nordirlands Polizei - der Royal Ulster Constabulary (RUC) - gelang es drei Tage lang nicht, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Dann schlug die britische Armee den Aufstand nieder.
In der Folge gab es in ganz Nordirland Aufstände und Straßenschlachten. Acht Menschen wurden erschossen, mehr als 130 verletzt. Protestantische Loyalisten setzten Häuser in katholischen Gegenden in Brand. Gewalt der radikalen katholischen "Irisch-Republikanischen Armee" (IRA) wurde mit Gegengewalt und Vergeltung beantwortet. Die britische Armee, zur Beruhigung der Lage herbeigerufen, verlor ihre anfängliche Neutralität und wurde selbst Partei. Der Begriff der "Troubles" war geboren.
Immer öfter gingen Katholiken auf die Straße, um für ihre Bürgerrechte zu demonstrieren. Einerseits, weil sie noch immer bei der Vergabe von Arbeitsplätzen und Sozialleistungen benachteiligt wurden. Andererseits, weil britische Soldaten immer öfter IRA-Aktivisten verhafteten, auf vagen Verdacht hin und ohne Gerichtsverhandlung.
Als die wohl schärfste Eskalation des Konflikts ging vam 30. Jänner 1972 der "Blutsonntag" (Bloody Sunday) in die Geschichte ein. An die 20.000 Menschen protestierten; es kam zu Ausschreitungen, Steine flogen. Entgegen der später vom britischen Militär veröffentlichten Version trugen die Demonstranten weder Waffen noch Sprengstoff; das ergab auch 1998 eine von Premier Tony Blair angeordnete Untersuchung.
Englische Fallschirmjäger eröffneten das Feuer auf die Unbewaffneten und erschossen 13 Personen, 5 davon von hinten. Nach dem Massaker übernahm London die Kontrolle in Nordirland und entmachtete das Parlament in Belfast. Die radikale irisch-republikanische IRA verbuchte nach dem "Bloody Sunday" ihren größten Mitgliederzuwachs. Protestantische und katholische Milizen radikalisierten sich weiter und spalteten sich; Spitzelsysteme wurden etabliert. Die Lage wurde vollends unübersichtlich.
Im Nordirland-Konflikt starben rund 3.500 Menschen, etwa die Hälfte davon Zivilisten. Dabei war es nur eine kleine Minderheit, die den bewaffneten Kampf befürwortete. Doch die Spaltung der Gesellschaft wurde begünstigt durch das streng konfessionelle Schulsystem, auf dem die jeweiligen Kirchenleitungen bestanden. Bis heute gibt es in Belfast Viertel, in denen fast ausschließlich Katholiken oder Protestanten wohnen.
Erst im Karfreitagsabkommen vom April 1998, von Irland, Großbritannien und den wichtigsten nordirischen Konfliktparteien besiegelt, gelang der Befreiungsschlag. In einer Volksabstimmung votierten 71 Prozent der Nordiren und 94 Prozent der Iren für das Abkommen. Irland verzichtet darin auf den Anspruch einer Wiedervereinigung; im Gegenzug soll diese per Referendum aller Nordiren möglich bleiben. Die (festgeschriebene) Bildung einer gemeinsamen Regierung von Unionisten und Republikanern soll den Friedensprozess im Land schützen.
2010 entschuldigte sich Premier David Cameron im Namen der britischen Regierung und des ganzen Landes bei den Hinterbliebenen.